Werkstätte für virtuelle Welten

by Kristin Schmidt

Der Exit-Button ist immer oben rechts. Er erlaubt es Schluss zu machen. Ganz gleich wie weit weg die Realität gerade ist, ob Lichtjahre entfernt in einer anderen Galaxie oder einen Zeitsprung weit in einem anderen Erdzeitalter. Klick und die Menüsteuerung taucht auf. Klick und das Cockpit weicht dem Couchtisch. Nur die besonders Hartgesottenen wagen sich in den 360°-Horror eines Spiels, in dem sie nicht mehr wegschauen können, nicht mehr ausweichen, in dem das Böse auch hinter einem lauert. Für alle anderen ist die Virtual Reality nur einen Wimpernschlag weit entfernt von der Realität.

Es ist fast so einfach wie den Ferienschmöker zuzuklappen und einfacher als Drogendosierungen im Griff zu behalten. Abtauchen. Auftauchen. Vielleicht braucht der Körper ein paar Sekunden, aber die Grenze ist klar gezogen dank der Technik. Sie erlaubt es, der Realität zumindest vorübergehend und gezielt zu entkommen oder sie zu erweitern. Zu erweitern? Erweiterte Realität ist ein grauenhafter Begriff für Sebastian Tobler. Der Mitinhaber der Zürcher Firma Ateo bleibt doch lieber bei dem sperrigen, weil noch ungewohnten Anglizismus Augmented Reality, und nennt statt möglicher Übersetzungen gern ein einfaches Beispiel: Bei Fussballübertragungen werden mitunter weisse Linien eingeblendet, um die Entscheidungen der Linienrichter zu verdeutlichen. Die Realität wird also etwas ergänzt. Oder wie es Sebastian Tobler zusammenfast: „Wir nehmen die Wirklichkeit und verändern sie, fügen etwas hinzu. Gezielt eingreifen zu können, ist der Reiz.“

Dafür ist Technik das Vehikel, sie transportiert aber auch Chancen.  Wenn Sebastian Tobler beispielsweise über das neue Augmented Reality-Projekt für das St.Galler Museum im Lagerhaus spricht, lässt er die Dinge selber zu Wort kommen: „Das Bild sagt uns: Schau, bei mir ist es spannend.“ Ein klarer Gegensatz zum Audioguide, „der sich immer im Erklärmodus befindet. Mit Augmented Reality können wir nicht nur Informationen liefern, sondern für die Sache begeistern. Und wir stossen das Publikum an, sich eigene Gedanken zu machen.“ Das Argument, das Tablet stehe aber immer noch zwischen Betrachtenden und Bild, lässt Sebastian Tobler nicht gelten: „Kinder gehen inzwischen mit den Geräten um, als seien sie ihnen an den Körper gewachsen.“

Es gibt aber ein anderes Problem. Auf einem Chip lässt sich eine halbe Bibliothek abspeichern, aber mehr Daten sind nicht zwingend relevantere Daten. Erst der kreative Umgang mit der Technologie ermöglicht bleibende Erlebnisse. Für Sebastian Tobler ist dies immer auch eine Gratwanderung: „Was können wir dem Nutzer in puncto Intensität zumuten? Wo wird es lustvoller? Wo ist es zuviel?“ Keine Frage ist diejenige nach der Realität: „Die Menschen können selber gut unterscheiden zwischen der Realität und künstlich Hinzugegebenem.“ Unbehagen setzt erst im Moment des Kontrollverlustes ein: Woher kam das? Wie lange geht das noch? Das war schon bei Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ so und ist mit neuer Technologie nicht anders. Aber Zaubershows funktionieren nur deshalb, weil Menschen selektiv wahrnehmen. Damit spielt auch Ateo: „Wir können unsere Eingriffe verstecken und sie mit der Wirklichkeit verschwimmen lassen.“

Erst in der virtuellen Realität des Spiels ist der Anspruch auf Wirklichkeit vollständig aufgehoben. „Shiny“ besitzt kein Oben und Unten, sondern nur noch eine Time Warps Space- Röhre. Farbige Blöcke fliegen darin weg und müssen per Kopfbewegung erfasst werden. Dazu lässt sich jede beliebige Musik hochladen. Das Spiel funktioniert mit einer Virtual Reality Brille und hat sich bereits den Ruf eines Nackentrainers erworben. Noch existiert nur der Prototyp, der allerdings so beliebt ist, dass im Mai die finale Version folgen soll. Also gerade rechtzeitig für die Kulturlandsgemeinde 2016. Zum diesjährigen Thema passt auch das zweite Ateo-Spiel: Sherlock. Es ist die Adaption eines Hörspiels für Virtual Reality und erlaubt es, gemeinsam mit dem grossen Detektiv zu denken und nicht nur in seine Welt, sondern auch die neue Technologie behutsam einzusteigen.