Das grosse Drunter und Drüber

by Kristin Schmidt

Manchen Eltern gilt schon ein Sandkasten als Gefahrenzone. Ihnen sei die Ausstellung «Playground Projects» in der Zürcher Kunsthalle empfohlen. Sie zeigt Spielplätze als Erfahrungsräume für Kinder – und für die Stadtplanung. Vorne mit dabei ist Wattwil.

Wippe, Schaukel und Klettergerüst, vielleicht noch eine Rutsche dazu oder ein Sandkasten. So hat die jetzige Elterngeneration vorgefertigte Spielplätze erlebt und so finden sie sich auch jetzt noch zwischen Mehrfamilienhäusern und auf Pausenhöfen. Einzig das Material hat sich gewandelt. Standen früher meist Stahlgestelle im Sand, so bestehen die Geräte und Gerüste mittlerweile aus Holzbalken. Aber es geht auch anders, ganz anders.

Was wollen Kinder tun?

Die Kunsthalle Zürich zeigt, was jenseits des Standards möglich ist. „Playground Project“ heisst die aktuelle Ausstellung und umgeht mit dem englischen Titel die Assoziationen von normierter Langeweile, die das Wort „Spielplatz“ ausstrahlt. Überhaupt, was heisst schon spielen? Als die Landschaftsarchitektin Cornelia Hahn Oberlander für die Expo 67 in Montreal mit einer Spielplatzgestaltung beauftragt wurde, fragte sie sich, was Kinder gerne tun. Spielen gehörte nicht zu den Antworten, sondern bauen, Wasser stauen, klettern, schaukeln, sich verstecken, balancieren, rennen oder Musik machen. Sie entwarf für den kanadischen Pavillon eine Landschaft mit Wasserkanal und Instrumenten, mit Kletternetz, Baumhaus und Tunnel. Dies war weder der erste, noch der einzige Ansatz, neue Bewegung in die kindliche Erfahrungswelt zu bringen.

Die Basler Politologin und Raumplanerin Gabriela Burkhalter blickt für ihr Ausstellungsprojekt auf über 100 Jahre Spielplatzgestaltung zurück. In dieser langen Zeitspanne lassen sich jedoch Schwerpunkte der neuen Gestaltungsbemühungen erkennen. Einer davon liegt –wenig verwunderlich – in den späten 1960er Jahren. Kreativität und Selbstbestimmung sind die Zauberwörter einer neuen Pädagogik, zusätzlich wurde der öffentliche Raum als demokratischer Raum aufgefasst. Inoffizielle Spielplätze bringen Bewegung in die Debatte um kindgerechte Zonen in der Stadt. Wie so oft kommen wichtige Anregungen aus Skandinavien. Der dänische Künstler Palle Nielson, künstlerischer Berater des Stadtplaners von Kopenhagen, erkannte, dass die Intensität von Spiel und Interaktion in begrenzten Räumen zunahm. In einer spontanen Aktion wandelten Nielsen und seine Aktivistengruppe im Frühjahr 1968 den Hinterhof eines Arbeiterblocks in einen Abenteuerspielplatz um. Die Anwohner wurden aufgefordert, nicht die Polizei zu rufen, sondern beim Bau mitzuhelfen. Die Gruppe mischte sich konstruktiv in die Stadtplanung ein ohne politische oder künstlerischen Absichten, sondern mit dem Ziel das Potential ungenutzter Räume zu entdecken. In Stockholm baute eine Gruppe um Nielson einen Spielplatz im Moderna Museet auf. „Modellen – en model för ett kvalitativt samhälle“ erfuhr ein riesiges Publikums- und Medienecho.

Je undidaktischer, umso besser

In der Kunsthalle Zürich sind diese und zahlreiche andere Beispiele in Filmen, Zeitungsberichten, Fotografien, Entwurfszeichnungen, Modellen und anderen Originalmaterialien belegt. Sie fügen sich zu einem Gesamtbild, dass weniger Archiv- als vielmehr Laboratmosphäre verströmt. MDF-Platten und Holzleisten liegen wie zum Weiterbauen bereit. Bildschirme sind in modulare Bausätze integriert. Baumhaus und Sandkasten fehlen ebensowenig wie Schaukelseil und Kletternetz. Kleine Details sorgen für Kinderfreude, so die kniehohen Öffnungen von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum. Sie zeigen, wie einfach es ist, die Kinderperspektive beim Ausstellungsmachen mitzudenken. Etwas, dass auch in ehrwürdigen Institutionen funktioniert, wie etwa in der neuen Nordamerikapräsentation des St.Galler Historischen und Völkerkundemuseums.

Ein besonderer Anziehungspunkt der Ausstellung ist der Lozziwurm, 1972 von Yvan Pestalozzi entworfen. Pestalozzi ist nicht der einzige Schweizer Künstler, der für Kinder gearbeitet hat. Bernhard Luginbühl gehört ebenso dazu wie Michael Alois Grossert. Dessen Skulpturenhof für die Primarschule Aumatten ermöglicht den Kindern auf kleinem Raum ein grosses Drüber und Drunter, das gar nicht offiziell als Spielplatz deklariert werden muss. Damit gleicht es Max Oertlis Brunnenskulptur am Neumarkt in St.Gallen. Sie ist ebenfalls nicht als Spielobjekt konzipiert, reizt die Kinder jedoch durch Form und Farbe zur Bewegung.

Kinderbaustelle Wattwil ist Spitze

Auch der immer wieder gescholtene Rote Platz entfaltet solche Qualitäten, indem er keine festen Nutzungen vorgibt, sondern offen lässt, wo gesessen, balanciert, gerannt oder geruht werden kann. Während es diese beiden St.Galler Beispiele nicht in die Ausstellung geschafft haben, ist aber auf der grossen Weltkarte der gegenwärtig besten Playground Projects unter den nur drei Beispielen aus Europa auch die Ostschweiz dabei mit der Kinderbaustelle Wattwil.

Im selben Raum lohnt es sich ausserdem auf die Zeichnungen und den Film der Group Ludic ein besonderes Augenmerk zu richten. Die Pläne auf Transparentpapier muten an wie Wimmelbilder oder Schatzkarten, in denen die Augen trefflich spazieren gehen können. Im 2013 gedrehten Film wird unter anderem über das Thema Sicherheitsnormen gesprochen. Damals, in den 1960ern und 1970ern herrschte diesbezüglich totale Freiheit, dennoch war die Sicherheit nicht nebensächlich, aber ebenso wichtig war das Vertrauen in die Kinder: „Ein Kind kann ein Risiko selbst bewältigen, wenn es dieses selbst gewählt hat“.

In der Ausstellung lassen sich gut zwei Stunden verbringen, mindestens. Wer aber mehr wissen will, dem sei die Website http://www.architekturfuerkinder.ch/ empfohlen. Hier stellt Gabriela Burkhalter das Archivmaterial zu ihrem Forschungsprojekt zur Verfügung. Noch eine Ebene drauf setzt der Katalog zur Ausstellung. Inhaltlich dicht, gut gestaltet, mit aussagekräftigem Bildmaterial und sorgfältig gedruckt hat er das Zeug zum Standardwerk.

Kunsthalle Zürich, bis 15.5.

Das grosse Drüber und Drunter