Ordnung im Geräusche-Chaos

by Kristin Schmidt

Sven Bösiger widmet sich mit «Meshology» der selbst erfundenen Wissenschaft vom Netzwerken. Im Ausstellungssaal von Katharinen sind die Ergebnisse seines Atelieraufenthaltes in Indien zu erleben.

Indien – es gibt wohl kaum einen, dem nicht sofort Bilder und Klänge durch den Kopf strömen beim Gedanken an dieses Land. Es spielt keine Rolle, ob man es selbst besucht hat oder nicht: Indien ist in unserer Vorstellung und Erinnerung präsent mit Farben, Gerüchen und Tönen. Deshalb rührt ein Gang durch die Ausstellung «Meshology» in Katharinen immer an Vertrautes inmitten des Fremden. Letzteres gibt es aber auch für routinierte Indienreisende noch zu entdecken. Denn Sven Bösiger richtet einen ganz individuellen Blick auf den Subkontinent.

Es ist der Blick eines sehr genauen, sehr aufmerksamen Beobachters, eines unvoreingenommenen und gleichermassen faszinierten Betrachters – oder besser gesagt: Zuhörers.

Der St. Galler weilte 2007 als ers- ter Künstler des neuen Artist-in-Residence-Programms der Stadt St. Gallen und der Konferenz der Schweizer Städte für Kulturfragen (KSK) in Varanasi und nutzte das halbe Jahr zudem zu einem von Süden nach Norden gerichteten Streifzug durch das Land. Es war sein erster Asienbesuch und nicht zuletzt darin bestand sowohl der Reiz als auch die Herausforderung. Bösiger hatte unzählige Eindrücke zu bewältigen und im wörtlichen Sinne zu verarbeiten.

Schnell zeigte sich für den Künstler, dass es wenig sinnvoll ist, einzelnes zu extrahieren, als vielmehr sich im Strom der visuellen und hörbaren Wahrnehmung treiben zu lassen, darin nach Orientierungslinien zu suchen und die Knotenpunkte des überaus komplexen Netzwerkes einzukreisen. Er findet sie sowohl an städtischen Plätzen wie auch mit einer Furt auf dem Lande oder sogar im Nachtzug Hyderabad–Kalkutta.

Siebenmal hat Bösiger Soundlinien verfolgt, siebenmal hat er die Schnittstellen des Tongefüges gefunden und macht sie nun für andere hörbar.

Kaum hat der Ausstellungsbesucher den Kopfhörer auf den Ohren, tauchen die eingangs erwähnten Bilder vor ihm auf. Er befindet sich in der Gasse in Varanasi, wo Silberfolienklopfer ihrer Arbeit nachgehen; er vernimmt einen Kuhhirten am Ufer des Tungrabadha. Er begibt sich zu den Cricketspielern in einem von Vögeln umschwärmten Park in Kalkutta oder in eine Gasse in Mysore, wo Blechteile sortiert werden. Bösigers Aufnahmen lassen einen tief in die ferne Welt eintauchen. Streift dann plötzlich der Blick die Fenster von Katharinen, erstaunt einen die menschenleere Gasse – erwartet man doch eben jene Betriebsamkeit, die einem gerade entgegenschepperte, -rasselte, -dröhnte oder -hupte.

Sven Bösigers Fokus liegt klar im Auditiven. Und doch gelingt es ihm, in der Installation auch ein visuell stimmiges Bild zu vermitteln. Die Kabel der sieben Kopfhörer und Abspielgeräte sind wie eine Zeichnung in den Raum gelegt. Sie verknäueln sich, laufen parallel oder kreuz und quer, so dass ein komplexes Netzwerk entsteht, das seine Entsprechung sowohl in den von Bösiger vorgefundenen Soundknoten findet als auch in dem typisch indischen Oberleitungsgewirr. Zusätzlich erwarten den Ausstellungsbesucher sechs grossformatige Fotografien, die nicht einfach die sieben Stationen illustrieren, sondern Atmosphäre vermitteln wollen und sowohl die ruhigen wie auch die betriebsamen Seiten Indiens zeigen. Detailliertere Informationen zu den Tonszenarien sind dagegen aus einem Beiblatt zu erfahren, doch es empfiehlt sich durchaus, sich erst einmal ganz unvorbereitet die Kopfhörer aufzusetzen und es so zu machen wie Bösiger selbst: sich öffnen, passieren lassen und die Kraft der Bilder auskosten.