Es brodelt in der Farbenküche

by Kristin Schmidt

Der Wiler Künstler Renato Müller stellt in der Kunsthalle Wil aus. Unter dem Titel „Lavadance“ verquirlt er die dingliche Welt zu einemForm- und Farbstrudel.

Ein Gesicht taucht auf und verschwimmt im selben Moment unter einer Blase. Eine zweite schiebt sich dagegen. Dann löst sich alles auf und eine zähe Flüssigkeit bedeckt das Bild. Aber was flüssig zu sein schien, ist eigentlich ein Ärmel. Oder ein Rock? Ein Hut? In den aktuellen Arbeiten von Renato Müller ist nichts, was es zu sein scheint. Schemenhaft tauchen Körperfragmente auf und verschwinden wieder. Das Wenigste lässt sich entziffern. Es kommt auch gar nicht darauf an, zu wissen, was genau zu sehen ist. Vielmehr lebt die Videoinstallation des Wiler Künstlers vom hierarchielosen Zusammenspiel aller Elemente. Sie wogen und wabern über die Wände in beiden Stockwerken der Kunsthalle Wil. Im Erdgeschoss setzt sich das Quirlen und Strudeln bis auf den Boden des Ausstellungsraumes fort und spiegelt sich in den abgedunkelten Fensterscheiben. Ein Raum aus Farbe, Licht und Bewegung, in dem auch Dimensionen verschoben sind. Kleines erscheint gross, Grosses klein. Partikel fliegen umher wie Planeten. Da wird eine Zelle zur Galaxie und ein kosmisches Flugobjekt zur Amöbe – und sind doch eigentlich das Gleiche: Renato Müller filmt die Blasen einer Lavalampe. Am Computer werden sie vergrössert, mit anderen Farben angereichert und ins Transparente übersetzt.

Realität und Transformationen sind die zwei Bausteine von Renato Müllers aktuellen Arbeiten. Hatte er in einer früheren Ausstellung in der Kunsthalle Wil noch mit vollständig computergenerierten Sujets gearbeitet, so basiert nun alles auf selbst gefilmten Aufnahmen. Ob Wasseroberfläche oder Tanzende, ob Lavalampenblasen oder Textilfalten – alles entstammt der real erfahrbaren Welt und wird Morphosen unterzogen. Die Bilder überlagern und verflüssigen sich, treiben langsam aneinander vorbei. Statisches gerät in Bewegung; oben und unten sind längst keine gültigen Kategorien mehr. Damit träumt Müller einen alten Traum weiter: Wie wäre es schwerelos zu sein, kein oben und unten mehr zu kennen, einfach dahinzutreiben im Raum? Wie fühlte es sich an, wenn alle physikalischen und rationalen Grenzen aufgebhoben wären?

Vollständiges Loslassen – es gibt Momente, in denen die Ausstellung eine Ahnung davon vermittelt. Obwohl die Loops nur wenige Minuten lang sind, gelingt es immer wieder, sich in den Bildern zu verlieren, die Zeit und den Raum zu vergessen. Allerdings nur, wenn ein geeigneter Standort gefunden ist, sonst gerät der eigene Körper zwischen Beamer und projiziertes Bild und die Illusion ist dahin. Dies stört vor allem im Obergeschoss. Der Raum ist dort beengter und es lässt sich schlecht dem eigenen Schattenwurf ausweichen, es sei denn auf dem Boden liegend den Blick ins Gebälk gerichtet, das wie der Dachspitz ebenfalls von Bildern überflossen wird. Diese unübliche Weise der Ausstellungsbetrachtung lässt sich bei der auf einem Monitor gezeigten Arbeit umgehen. Statt von Bildern umflossen zu sein, ist hier zwar nur die herkömmliche Frontalbetrachtung möglich, dafür aber ohne sich selbst im Blick zu stehen. Hier auf dem Bildschirm verdichtet sich Renato Müllers gesamte Arbeit. In allen Regenbogenfarben wogt und blubbert es. Gegenständliche Versatzstücke sind nicht mehr zu sehen. Die Dinge köcheln noch oder wieder in der Ursuppe. Alles fliesst aufs Zentrum hin und brodelt wieder vom Mittelpunkt weg. Ohne Ende, ohne Anfang, alles bleibt in der Schwebe. Dieses Gericht ist nie fertig.