Inhalt im Zwischenraum

by Kristin Schmidt

Ein Arbeitstitel ist ein Provisorium. Er umschreibt eine Idee, ohne bereits auf sie festgelegt zu sein, aber mit dem Potential, sich als gültig zu erweisen. Annaïk Lou Pitteloud nennt ihre Ausstellung in St.Gallen „Working Title“ und findet damit den präzisen Ausdruck für ihre Arbeit über künstlerische und kunsttheoretische Praxis.

( ) – der kursiv gesetzte Ausstellungsauftakt ist minimalistisch und universell. Zwei Klammerzeichen auf einer weissen Wand, dazwischen nichts und alles. Das Leerzeichen ist Abstand, Freiraum, Zwischenraum. Es ist das perfekte Zeichen für die gesamte Ausstellung. Annaïk Lou Pitteloud gibt den Dingen Raum, indem sie sie reduziert. Seit einigen Jahren deklariert die mit zwei Swiss Art Awards ausgezeichnete Künstlerin auch die Werklisten der Ausstellungen als Werk. Die Informationsblätter sind nummeriert und signiert, sind eine Edition. Das ist einerseits plausibel, sind auf diesen einfachen A4-Zetteln doch sämtliche Ausstellungsinhalte zu übersichtlicher Form kondensiert. Hier sind nicht nur die üblichen Angaben zu Werktitel und Entstehungsjahr zu finden, sondern auch der Situationsplan: Linien, Punkte und Striche visualisieren Inhalt und Choreographie der Ausstellung. Aber wäre es andererseits nicht konsequent, das Saalblatt als Konzept zu verstehen und auf die Präsentation der Werke ganz zu verzichten? An diesem Punkt beginnt Annaïk Lou Pittelouds lustvolles Spiel mit Kategorien und Deutungshoheiten. Die Welschschweizerin lässt sich nicht festlegen. Leichtfüssig unterwandert sie Erwartungshaltungen. Was vordergründig nach Minimalismus aussieht, ist aus tiefgehenden Überlegungen zu Produktion, Rezeption und Wahrnehmung heraus entstanden. So werden zu einigen Werken Datensammlungen angelegt, die mit jeder Ausstellung oder einem eventuellen Ankauf um weitere Levels ergänzt werden. Damit reagiert die Künstlerin auch auf die mitunter ins Absurde abdriftenden Fragen zu Autor- und Urheberschaft.

Viele der Arbeiten sind technisch perfekt ausgeführt. Ihre Reduktion steht nicht im Widerspruch zum klassizistischen Bau des Kunstmuseums St.Gallen, sondern betonen ihn auf frappante Art und Weise. Die hohen, wohlproportionierten Räume, der Stuck, die schlanken Säulen, ja selbst die graue Wandfarbe sind nicht mehr nur Hintergrund, sondern in ihrem eigenen Gestaltungswert unterstützt. Im letzten Raum dann die Überraschung: Mit roter und blauer Wachskreide, unten und oben an einem raumhohen Stab befestigt, markierte Pitteloud Decke und Boden des Raumes mit kreisenden Linien. Ein wenig krakelig, dafür raumgreifend, zeichenhaft und selbstbewusst – bei Pitteloud schliessen sich nicht einmal konzeptuelle Arbeit und ausdrückliche persönliche Handschrift aus.

Bis 20. März 2016

www.kunstmuseumsg.ch