Florian Graf – Die Welt als Raum und Vorstellung

by Kristin Schmidt

Architektur gestaltet den Raum. Sie folgt gesellschaftlichen Bedürfnissen und lenkt sie zugleich. Architektur kann manipulieren, sie erlaubt bestimmte Bewegungen im Raum, andere behindert sie. Sie wirkt, so Guy Debord «direkt auf das emotionale Verhalten des Individuums ein». Lettristen und Situationisten ließen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Strömungen und Strudeln des urbanen Raumes treiben und erkundeten so die psychogeografischen Zusammenhänge der Stadt.

Florian Graf wählt den aktiven Zugang. Er arbeitet mit dem Raum, er fügt Elemente hinzu, verändert sie, setzt sie in neue Zusammenhänge oder sogar in Bewegung. So wie mit seinem «Ghost Light Light House», das 2012 auf dem Bodensee trieb und das Prinzip des Leuchtturms in sein Gegenteil verkehrte. Statt fest verankert und damit lokal verlässlich seine Lichtsignale auszusenden, wurde er orientierungslos und ephemer. Auch in den Kunstbetrieb überführte er die Idee des flexiblen Raumes: Die drei «Waltzing Walls» verließen an der Art Chicago 2010 den Stand mit Florian Grafs Werken, sie bewegten sich frei durch die ganze Kunstmesse und unterbrachen die gewohnte Routine des Messebetriebs.

Graf bespielt Innen- wie Außenräume gleichermaßen souverän. Er geht für seine Arbeit von Architektur- und Stadtplanungstheorien sowie von eigenen Beobachtungen und Studien aus. Zugute kommt dem Künstler dabei sein grundsätzliches Interesse an Architektur, dass sich in seiner Ausbildung manifestierte: Florian Graf studierte Architektur an der ETH Zürich (1999-2005) und schloss dort als bester Absolvent ab. Zunächst arbeitete er als Architekt weiter und gewann mit zwei Berufskollegen den Wettbewerb zum 150-jährigen Bestehen der ETH Zürich und initiierte statt des vorgesehenen temporären Projektes in Zürich den Aufbau eines universitären Instituts im afghanischen Bamiyan: Das ETH House of Science besteht bis heute. Florian Graf wandte sich anschließend der bildenden Kunst zu, studierte unter anderem an der Royal Drawing School, London, an der School of the Art Institute, Chicago und als Fellow des Istituto Svizzero in Rom. Inzwischen lebt Graf in Basel und ist doch weltweit unterwegs. Seine Installationen und Interventionen erarbeitet er ortsspezifisch. Im schottischen Cumbernauld richtete er in einem Einkaufszentrum eine fiktive Immobilienagentur ein und thematisierte die modernistischen Intentionen der Architektur. Seine Skulpturen für das Edinburgh Art Festival 2008 und im Krasnojarsk Museum Center 2014 wurden für Performances genutzt. Sein «Tugendtempel» während der experimenta 13, Natur, Stadt, Kunst in Basel wurde als Aufforderung genutzt, sich mit den im modernen Sprachgebrauch fast vollständig verschwundenen Tugenden auseinanderzusetzen. In seiner Einzelausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen richtete sich Graf per Brief direkt an die Besucherinnen und Besucher. Künstlerisch und interaktiv spürt er der Wirkung der gebauten Welt nach. Architektur und Kunst durchdringen sich, gewohnte Maßstäbe sind verändert und bekannte Funktionen ad absurdum geführt. Das erhöht die Aufmerksamkeit für den Raum. In den jüngsten Arbeiten stehen der dreidimensionale und der Bildraum im Dialog – räumliche Erlebnisse finden auch in der Imagination statt. Florian Graf macht sie möglich.

www.artline.org, Printausgabe, Dezember 2015