Warth: Tsang Kin-Wahs «Ecce Homo Trilogy II» in der Kartause Ittingen

by Kristin Schmidt

Bilder verführen zu Urteilen. Sie sind ein Machtinstrument, nicht erst seit sie sekundenschnell weltweit verbreitet werden können. Tsang Kin-Wahs begehbare Inszenierung im Kunstmuseum Thurgau thematisiert Menschlichkeit und Wahrheit mit dokumentarischem Filmmaterial. Es ist seine erste Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum.

Das Ecce Homo-Motiv zeigt den gefolterten Jesus, zeigt ihn als Mensch. Es zeigt aber auch das Zeigen selbst, das Präsentieren des Leidens und das Betrachten desselben. Zeigend tritt Pontius Pilatus auf. Betrachtend das Volk – und jene, die das Bild ansehen. Auch sie schauen das Leiden und machen sich ihr eigenes Bild, deuten das Gezeigte. Diese Dimensionen des verbreiteten christlichen Sujets, das Zurschaustellen des Leidens und das Betrachten des Spektakels, dominieren in der «Ecce Homo Trilogy» von Tsang Kin-Wah (*1976). Der zweite des auf drei Teile angelegten Werkes ist derzeit im Kunstmuseum Thurgau ausgestellt und wird auch nur hier zu sehen sein, denn der in Hong Kong lebende Künstler hat seine Installation passgenau auf das ehemalige Kartäuserkloster und seinen Ausstellungsraum zugeschnitten. Wie in seiner Arbeit «The Infinite Nothing», mit der er Hong Kong an der diesjährigen Biennale in Venedig vertritt, gibt es eine ausgetüftelte Raumchoreografie. Doch während der Künstler dort mit projizierten, bewegten Satz- und Wortreihen arbeitet, sind sie hier fix auf Wänden und Boden angebracht. Sie schlingen sich übereinander, sind verzerrt und dennoch gut zu lesen. Sie künden von Gewalt, Rache, Waffen, von Schuld und Resignation. Doch nicht nur die fehlenden Leerzeichen erschweren es, sich auf die Entzifferung einzulassen, stärker noch verhindern es die mal dumpf wummernden, mal kreischenden Klänge aus dem Inneren der Ausstellung. Sie verbreiten Unbehagen genauso wie sie das Verlangen schüren, ihren Ursprung zu ergründen, sich Klarheit zu verschaffen.

Klarheit, Wahrheit – das einzulösen versprechen Fotografien und Filme noch immer, ungeachtet des längst verbreiteten Wissens um die Manipulierbarkeit aller, auch dokumentarischer Bilder. Solcher bedient sich Tsang Kin-Wah: Er hat für drei Projektionen Videomaterial aus dem Internet verarbeitet. Die Aufnahmen zeigen den Prozess gegen Saddam Hussein, die Exekution des Diktators und schliesslich dessen Begräbnis. Indem der Künstler die Farben eliminiert, den Grad der Unschärfe stark erhöht und die Geschwindigkeit reduziert, homogenisiert er das Material nicht nur, er verunklärt es auch. Denn was ist schon wahr? Oder mit Nietzsche formuliert: Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen. Wie auch immer diese ausfallen, die Hinrichtung eines Menschen ist niemals gerechtfertigt; auch diesen Bezug zum Ecce Homo-Motiv impliziert Tsan Kin-Wahs Arbeit.

bis 15. Dezember 2015

www.kunstmuseum.tg.ch/