Dada vor Dada

by Kristin Schmidt

Ein Jahr vor dem grossen Dadajubiläum feiert das Kunstmuseum Appenzell fünf Dadaistinnen. Zu den Gratulantinnen gehören auch zeitgenössische Künstlerinnen.

»Die Dada La Dada She Dada« – ein Ausstellungstitel wie ein Ohrwurm: Summ Dada, sing Dada, kling Dada! Und das alles im Femininum. Dada wird weiblich; war es immer gewesen. Künstlerinnen haben Dada geprägt. Sie tanzten und texteten, sie malten und montierten, sie zeichneten und politisierten. Sie hegten eine Vorliebe fürs Unkonventionelle, in der Kunst wie im Leben, und entgegen allen bürgerlichen Wertvorstellungen. Allerdings traten auch die Künstlerkollegen oft als Verhinderer auf und degradierten die Frauen zu Beiwerk. Daran änderte die lange von Männern dominierte Kunstgeschichtsschreibung wenig.

Allerhöchste Zeit also, die Dadaistinnen ins Rampenlicht zu stellen. Die Kuratorinnen Nadine Schneider und Ina Boesch haben fünf von ihnen ausgewählt und zeigen mehr als nur den weiblichen Blick. Sie bringen das ganze Dada-Panoptikum nach Appenzell, denn jede der Künstlerinnen steht zugleich für ein Dada-Zentrum und seine spezifische Dada-Spielart: Hannah Höch für Berlin, die Schriftstellerin Céline Arnauld für Paris, Angelika Hoerle für Köln, die Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven für New York und Sophie Taeuber-Arp für Zürich.

Hat nahe der Limmat alles angefangen? Oder doch in Paris, wo Marcel Duchamp bereits 1913 eine Fahrradgabel mit Rad in einen Küchenhocker steckte? Oder 1915 in New York wohin er emigrierte und Zugang zu dem Zirkel des Sammlerehepaares Arensberg fand? Oder eben in Zürich, wohin auf den Monat genau vor einhundert Jahren die Vortragskünstlerin Emmy Hennings und der Philosoph und Dramaturg Hugo Ball flüchteten? Die Ideen lagen mehrerenorts in der Luft. Aber um sich manifestieren zu können, brauchte Dada die komprimierte Atmosphäre der neutralen Schweiz mitten im grossen Krieg. Hier fanden Hennings und Ball gleichgesinnte junge Menschen. Hier gründeten sie am 1. Februar 1916 das Cabaret Voltaire. Aber diesem lassen Boesch und Schneider das Jubiläumsfest im kommenden Jahr.

»Die Dada La Dada She Dada« untersucht weniger das grosse Anti-Kunst-Spektakel als vielmehr den wichtigen Beitrag Dadas zur Kunst, insbesondere den der Künstlerinnen. Sie überwanden die Grenzen zwischen Malerei, Plastik und Zeichnung. Sie hoben die Hierarchie zwischen bildender und angewandter Kunst auf. Sie konnten einfach alles. Sophie Taeuber-Arp zum Beispiel: Neben ihren freien Arbeiten unterrichtete sie textiles Gestalten in Zürich und ermöglichte damit Hans Arp sein unabhängiges Schaffen. Aber sie war um ihrer Stelle willen gezwungen, bei Dada-Soireen unter Decknamen und mit Maske aufzutreten. Ihre Marionettenfiguren sind leider nicht im Original zu sehen, werden aber gleichzeitig mit den Tanzperformances im Video von Anka Schmid zum Leben erweckt. Die Zürcherin ist eine der fünf Gegenwartskünstlerinnen, die eingeladen wurden, sich mit dem Werk je einer Dadaistin auseinanderzusetzen.

Elodie Pong reagiert auf Elsa von Freytag-Loringhoven. Letztere ist eine der besonders spannenden und schillernden Dada-Figuren. In Pongs Installation wird das Tempo der Metropole ebenso nach Appenzell geholt wie die Selbstinszenierung urbaner Individuen. Chantal Romani wiederum arbeitet die grotesken Körperverformungen heraus, mit denen Angelika Hoerle auf die Versehrten des I. Weltkrieges reagiert hatte. Judith Alberts schlägt den Bogen von Hannah Höchs Collagen in die Gegenwart. Höch räumt mit tradierten Frauenbildern auf – Albert zeigt, was vom Aufbruch geblieben ist. Und wer aufs Kleine achtet, wird mit einer wundersamen Tintenwolke auf Haushaltspapier belohnt. Anne-Julie Raccoursier schliesslich findet filmisch poetische Pendants zu Céline Arnaulds rätselhafter Dichtung.

Die zeitgenössischen Künstlerinnen geben der Ausstellung entscheidendes Gewicht, denn dadaistische Originale sind leider nur sehr wenige zusehen. Das ist das einzige Manko der Ausstellung. Aber dank der gut gestalteten Plakate und der begleitenden Zeitung kommt dennoch Dada-Atmosphäre auf. Das Wissen ist hier nicht nur dicht gesät, sondern lesenswert aufbereitet: übersichtlich, kompakt und gut.