St. Gallen und die weite Welt

by Kristin Schmidt

Ingo Giezendanner realisiert das Kunst-am-Bau-Projekt für das neu gebaute Schulhaus Schönenwegen. Er oszilliert in seinen Arbeiten zwischen verschiedenen Ebenen und hat keine Berührungsängste, was den Ort dieser Kunst angeht.

Kunst im öffentlichen Raum hat viele Aufgaben zu erfüllen. Sie soll ihre Umgebung auf-, um- oder neubewerten, soll zur ästhetischen Bildung ihrer Betrachter beitragen und die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen. Aber nur, wenn sie gut ist, dringt sie ins Bewusstsein der Adressaten vor und behauptet sich dort. Ein Beispiel dafür, wie das funktionieren kann, entsteht derzeit im Schulhaus Schönenwegen.

Ingo Giezendanner hat 2008 den Kunst-am-Bau-Wettbewerb für den Neubau des Schulhauses für sich entschieden. Und es ist Teil des künstlerischen Konzeptes, dass nicht erst jetzt, kurz vor der Eröffnung, etwas von Giezendanners Arbeit zu sehen ist: Das Werk besteht aus mehreren Teilen, von denen zwei bereits im Herbst vergangenen Jahres realisiert wurden. Weiteres kam im Winter hinzu, weiteres wird zur Schulhauseröffnung installiert.

Wer zu den zahlreichen Passanten der Zürcher Strasse gehört, dem wird es längst aufgefallen sein: Das Wandbild an der Ostfassade des Schulhauses. Auf der makellosen Sichtbetonwand beginnt es in der rechten unteren Ecke bereits zu bröckeln. Das Wandgemälde zeigt eine in sich zusammengefallene Mauer und ist eines jener Motive, die Giezendanner auf Reisen mit schwarzem Stift auf Papier bannt.

Von Uganda bis Georgien, von Pakistan bis Spanien, von Aserbaidschan bis Sri Lanka reichen seine zeichnerischen Tagebücher. Doch nur dem Eingeweihten offenbart sich der genaue Ort, die direkte Vorlage eines einzelnen Blattes. Für alle anderen überwiegt die Lust am Schauen, an der unendlichen Vielfalt der Motive, am zeichnerischen Können des Künstlers, seiner Strichführung, der Komposition.

Auch die Vorlage des Wandgemäldes am Schulhaus Schönenwegen ist nur sekundär von Interesse, wichtiger ist das bewusst gesetzte Spannungsfeld von glatter Oberfläche und abgebildetem brüchigem Mauerwerk. Zudem leitet das Motiv in den Innenraum des Gebäudes über, denn rückseitig befinden sich die Bibliothek des Schulhauses und ein weiteres Wandgemälde Giezendanners. Im Kontrast zur zerfallenen Steinmauer umwuchert hier dichtes Laubwerk ein intaktes Baumhaus. Die Vorlage dafür zu identifizieren ist nun für keinen Betrachter schwierig; schwenkt er seinen Blick, erkennt er durch die Fenster hinaus gegenüber der Rückseite des Schulhauses eben jenes Baumhaus im Original.

Dies ist ein weiterer Reiz der Arbeit Giezendanners: das Oszillieren zwischen bekannt und unbekannt, nah und fern, vertraut und exotisch. Nicht nur von Auslandsreisen bringt der Zürcher seine Handzeichnungen mit, sie entstehen auch im allernächsten Umfeld. Auf dem Baumhauswandbild wiederum sind sie vereint: Originalzeichnungen aus Islamabad, Tiflis, Amsterdam, Sarajevo, Istanbul, Kairo oder New York und Kopien von Zeichnungen aus St. Gallen, Zürich und anderswo.

Nicht nur die Motivvielfalt fesselt die Aufmerksamkeit, es ist auch das Spiel aus Mikro- und Makrostruktur, aus kleinsten Rastern bis hin zu freien Flächen. Der alleinstehende Strich kontrastiert mit Liniengewebe, das weisse Papier mit Grauwerten, die allein aus dicht gesetzten Pattern entstehen. Und wer meint, alles auf dieser Bibliothekswand gesehen zu haben, für den hat Giezendanner gesorgt. Teil der Arbeit ist ein Netzwerkdrucker, der während fünf Jahren ein bis zweimal pro Woche eine Zeichnung ausspuckt. Der Künstler füttert den Drucker sowohl mit Archivmaterial als auch mit aktuellsten Zeichnungen seiner Reisen. Und so rücken die Welt und St. Gallen einmal mehr zusammen. Gelungen ist dabei auch die Verbindung zum Schulhaus, vereint es doch Schüler aus aller Welt.

Ingo Giezendanner hat keine Berührungsängste, sowohl das schulische Umfeld seiner Arbeit als auch die Verwendung der ausgedruckten Zeichnungen betreffend. Ob als Arbeitsmaterial, Notizpapier, gehängt, mit nach Hause genommen oder vollgemalt – alles ist denkbar und in jedem Falle eine Bereicherung des schulischen Alltages.