Zukunft Kultur

by Kristin Schmidt

Kultur in der Zukunft? Ein grosses Thema, aber eines für eine Kommunikations- und Projektagentur? Agenturen vermitteln und kommunizieren – schaffen sie auch kulturelle Werte? Was überhaupt ist die Kulturproduktion, über die an dieser Stelle nachgedacht werden soll? Und warum braucht sie Vermittlung? Philipp Lämmlin und Marcus Gossolt, Gründer der Agentur Alltag, stellen grundlegende Fragen. Erst wenn diese beantwortet sind, kann der Blick in die Zukunft gerichtet werden.

Der Kulturbegriff lässt sich weit fassen. Entscheidendes Kriterium für einen zeitgenössischen Kulturbegriff ist für Marcus Gossolt die grundsätzliche Autonomie der Kultur gegenüber äusseren Zwängen: «Die Kultur sollte die geistige Freiheit aufrechterhalten, sie sollte Kommunikation und Formen ästhetischer Erfahrung herstellen und ermöglichen; also Erkenntnisgewinn und damit Identitätsfindung durch Fragen und Debatten.» Diese Autonomie führt im Gegenzug dazu, dass die Kulturproduktion auf sich gestellt ist. Sie schafft Werte, sie arbeitet sich an der Welt ab, reflektiert und analysiert. Sie ist ein grundlegendes Element für die Entwicklung der Gesellschaft. Um also relevante Aussagen treffen, Behauptungen aufstellen oder Denkprozesse anregen zu können, sollte sie unabhängig agieren können. Trotzdem und gerade deswegen muss sie wahrgenommen werden.

Zugleich braucht die Kulturproduktion eine finanzielle Basis. Gerade hier ist die Autonomie der Kultur gefährdet, denn wenn sie gezwungen ist, sich zu verkaufen, zu korrumpieren, gerät ihre Freiheit unter Druck. An dieser Stelle sind Vermittler besonders gefordert: Sie haben es in der Hand kulturelle Werte angemessen zu platzieren, ihnen den erforderlichen Resonanzraum zu verschaffen und – mit grossem Fingerspitzengefühl – auch Geldquellen zu erschliessen, so dass im Idealfall alle profitieren: Finanzpartner und Kulturproduzierende und nicht zuletzt die Öffentlichkeit. Die Agentur ist in diesem Dreieck die Schnittstelle. Voraussetzung ist, dass sie aus einem grundlegenden Verständnis für die Kultur heraus handelt. Nur so kann die Autonomie der Kultur gewahrt werden, nur so können die richtigen Partner gefunden und die unverfälschten Inhalte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Beispielsweise bei Abstimmungsvorlagen: «Gerade bei Abstimmungen kann es nicht darum gehen, wer die lustigste Idee für ein Plakat hat, sondern es kommt darauf an, Bedeutung zu vermitteln, sie zu den Menschen, in die Quartiere der Stadt zu bringen.» so Philipp Lämmlin. Bei der Abstimmungskampagne für die Lokremise St.Gallen war es entscheidend, dass die St.Gallerinnen und St.Galler die Lokremise bereits als guten Kulturort erlebt hatten. Nach dem Weggang der Sammlung Hauser und Wirth hatte Alltag in dem ehemaligen Lokomotivdepot faktisch das Provisorium betrieben und kommunikativ begleitet. Im besonderen Ambiente des Hauses wurden Theater- und Tanzstücke aufgeführt, es gab Kunst, Musik und Openairkino. Bei Alltag liefen die Fäden zusammen, ein Vorteil nicht nur für ein positives Abstimmungsresultat, sondern auch für den laufenden Betrieb: «Uns liegen besonders Pionierprojekte am Herzen, die nicht im Standardmodus betrieben werden können.» so Philipp Lämmlin. «Angefangen von der Suche nach Kooperationspartnern über die Budget- und Detailplanung bis hin zu Namensgebung, Gestaltung und Publikation kommt bei uns alles aus einer Hand.» Ein grosses Projekt also, aber was ist mit den kleinen? Sie gibt es nicht nur auch, sondern vor allem. Die moderne urbane Gesellschaft ist geprägt von Individualisierung und Pluralisierung, das ist auch im Kulturleben zu spüren. Es wird immer vielgestaltiger, es ist geprägt von Experimenten und Einzelinitiativen, es gibt wechselnde Gruppierungen und Zusammenschlüsse von jungen Kulturschaffenden, genauso wie Alteingesessene neue Kulturformen erproben. Diese Vielfalt bedeutet einerseits, dass die Rezipientinnen und Rezipienten gezielter auf die Suche nach den an sie gerichteten Kulturangeboten gehen müssen, andererseits ist es für die Kulturschaffenden immer wichtiger, Hilfe bei der Suche der geeigneten Vermittlungskanäle zu erhalten, denn Kulturarbeit zeichnet sich grundsätzlich durch einen dialogischen Charakter aus. Nur in der Auseinandersetzung mit einem Gegenüber entfalten sich Leben und Wirkung. So wie sich aber die Kulturproduktion in der postindustriellen Zeit verändert, so verändern sich auch die Vermittlungskanäle: «Wahrnehmung ist nicht mehr nur mit grossem Budget oder dominanter physischer Präsenz möglich. Dank der neuen Kommunikationskanäle können wir viel punktgenauer agieren. Allerdings wird auch das Zielpublikum kleiner, weil alle Angebote spezialisierter sind.» Daher braucht es laut Marcus Gossolt, neue Vermittlungsmomente: «Das Vorhandensein der Multimediakanäle allein genügt noch nicht, sie bieten nur das Format.» Philipp Lämmlin betont, dass es gerade in der Kultur auf solche neuen Momente ankommt, denn «Kultur ist nie ein Low Involvement.» Ideal sei es daher, die Kanäle bi-direktional zu nutzen: «Bisher waren wir es gewohnt, Botschaften bereitzustellen, aber nun ist es möglich, Antwort zu geben,» wie Marcus Gossolt betont, «und sich in die Lebenswelt der Menschen einzuschreiben.» Zudem sind die neuen Kanäle weder das einzig verfügbare, noch das einzig nützliche Medium. Die Auswahl des richtigen Vermittlungskanals erfordert eine gute Kenntnis sowohl der Zielgruppe, als auch jener, die Kultur verbreiten wollen: «Medium und Kanal müssen von denen gelebt werden können, die sie betreiben. Unsere grösste Lust ist es, zu orchestrieren.» Und eben nicht, selbst Kulturinhalte zu schaffen. Daher verändert die Agentur die Inhalte nicht, sondern arbeitet an der Form. Philipp Lämmlin dazu: «Wir suchen oder erfinden die geeigneten Instrumente, die idealen Rahmenbedingungen, um Ideen laufen zu lassen. Wir sind die Inhaltsverstärker, nicht die Köche.» Das gilt für Projekte ebenso wie für Produkte, so Marcus Gossolt: «Am liebsten haben wir es, wenn eine Idee noch nicht vollständig fertig gedacht ist, sondern die Menschen mit einer Absicht zu uns kommen. Dann können wir mitdenken, wie sich bereits in diesem Stadium die besten Mehrwerte schaffen lassen.“ Auch Philipp Lämmlin sieht das so und betont den Kostenfaktor: «Je früher wir einbezogen werden, desto kosteneffizienter ist dies. Denn es ist viel teurer, ein fertiges Produkt zu promoten, als eines, für das von vornherein bei der Entwicklung auch die Wirkung mitgedacht ist.»

Bei der möglichst frühen Mitarbeit geht es Alltag nicht darum, einen eigenen Fingerabdruck zu hinterlassen, sondern Dinge besser erzählen zu können: «Wir sind die Dramaturgen und schärfen die Geschichte. Das Copyright behalten Autor, Regisseur und Schauspieler.» Marcus Gossolt vergleicht die Rolle der Agentur mit jener des Kurators: «Ein Kurator nimmt unsichtbar Einfluss, wenn er Kunst ausstellt, aber beansprucht niemals die Autorschaft für ein Kunstwerk, sondern nur für die Ausstellung.» Ein Kurator ist also beides, Kulturvermittler und Kulturschaffender; hier liegt der grundlegende Unterschied zu Alltag, so Lämmlin und Gossolt: «Wir sind nicht Initianten, sondern erster Betrachter.» Indem die Agenturmitarbeiter den ersten öffentlichen Blick einnehmen, und ihn sich vorab schon bei der Entwicklung der Vermittlungsideen vorzustellen versuchen, können sie Lösungen entwickeln, die funktionieren und die Kultur dort wirken lassen, wo sie ankommen soll. Das geht soweit, dass die Agentur den Anstoss dazu gab, Kuratorennachwuchs zu fördern: Sie entwickelte für die Gebert Stiftung für Kultur in Rapperswil-Jona das Konzept der «Förderung der Förderung»; mit einem Stipendium werden seit 2007 junge Kunstvermittlerinnen und -vermittler unterstützt und ein wachsendes Netzwerk aufgebaut. Die Kuratorenförderung ist in dieser Form einzigartig in der Schweiz und ermöglicht der Stiftung das Besetzen einer eigenständigen Fördernische. Solche Nischen gibt es immer noch und sie werden immer wichtiger, denn wenn sie präzise erkannt und genutzt werden, lässt sich auch das Ergebnis umso präziser vermitteln oder wie es Marcus Gossolt formuliert: «Es gibt für alles eine Zielgruppe, man muss sie nur finden.» Philipp Lämmlin zieht den Vergleich zum sogenannten «Long Tail»: «So wie Internetanbieter mit spezialisierten Produkten auf der virtuellen Ebene auf grosse Nachfrage treffen, die sich lokal kaum erreichen liesse, so werden künftige Harald Szeemanns und ihre Vermittlungsinstrumente auch für die Kulturschaffenden zur grossen Chance. Die Grenzen der Netzwerke werden ausgeweitet, die Multiplikatoren wandeln sich.» Wie künftige Kommunikationskanäle aussehen, ist kaum vorherzusehen, sicher ist aber, dass auch dank ihnen neue Felder nicht nur besetzt, sondern die Früchte vermittelt werden können – das wiederum ist ein spannendes Feld für die neue Generation der Vermittlerinnen und Vermittler.

Text für Swissfuture. Magazin für Zukunftsmonitoring, Nr 03/14