Tanz draussen und drinnen

by Kristin Schmidt

Tanz braucht Körper. Er braucht Platz. Wände und ein Dach braucht er nicht immer. Im Gegenteil: Tanz trifft im öffentlichen Raum auf spannende Vorgaben. Fern der etablierten und der Szenebühnen gibt es inhaltliche Anstösse und situative Herausforderungen. Das Publikum ist neugierig und bringt unterschiedlichste Voraussetzungen mit. Claudia Roemmel und Kjersti Sandstø reizen genau diese Besonderheiten.

Kjersti Sandstø alias Sandstø Production, hat in Norwegen eine klassische Ballettausbildung absolviert, doch bald spürte sie die Einschränkungen in diesem Metier: «Es war wie Sport. Die Technik stand im Vordergrund und die künstlerische Seite und die Vielfalt im Ausdruck fehlten mir.» Sandstø aber zog die Konsequenz und hörte mit dem Tanz auf, und versuchte es mit Zehnkampf, Hand- und Basketball, vermisste aber die Musik. Im zeitgenössischen Tanz hat die gebürtige Norwegerin dann vor 20 Jahren ihre Ausdrucksart gefunden. Sie lebt seit einigen Jahren in Schachen AR und hat ihre eigene Tanzwerkstatt in St. Margrethen. Längst tanzt sie nicht mehr nur, sondern choreografiert, unterrichtet und ist zweimal im Jahr an der Hochschule für Tanz in Oslo als Gastdozentin. Diese Vielfalt schätzt Kjersti Sandstø, aber es bleiben auch Wünsche offen: «Gern würde ich mehr als Gastchoreografin an Theatern arbeiten.» Aber der Einstieg ist immer wieder schwierig und so arbeitet Sandstø seit 2011 wieder freischaffend. Im Mai zeigte sie an der St. Galler Ausgabe des Tanzfestes einen Ausschnitt aus ihrer nächsten Produktion «Callomania». Das Stück ist eigentlich für die Bühne konzipiert, und wird Ende September in der Grabenhalle Premiere feiern, aber Sandstø präsentierte es im Regen am Bahnhofsplatz und schätzte die direkten Reaktionen des unvoreingenommenen Publikums.

Auch Claudia Roemmel war erneut mit einer Arbeit am Tanzfest dabei. Sie hatte mit dreissig Tanzschaffenden und bewegungs-art Freiburg im Breisgau eine «Instant-Composition» entwickelt, eigens für die Unterführung bei der Fachhochschule St.Gallen: «Als Tänzerin interessiert mich der Raum mehr als die schwarze Bühne. Ausserdem will ich gemeinsam mit Anderen etwas gestalten, als nur etwas vorzuführen.» Die St.Gallerin bezieht die Mitmenschen ein in ihre Projekte: «Ich habe klare Bilder vor Augen und kann sie den Mitwirkenden auch vermitteln. Allerdings kann ich die vielen Leute nie richtig bezahlen und so bleibt es eine Gratwanderung: Es soll für mich stimmen, aber es muss allen soviel Spass machen und Freiheit erlauben, dass sie wiederkommen wollen.»

Roemmel war lange unentschlossen, ob sie sich dem Tanz oder dem Theater zuwenden sollte. Sie hat ihre Ausbildung in Bewegungstheater und Improvisation erst mit 25 angefangen und schafft in ihrer Arbeit die Synthese zwischen den Gattungen. Nach Jahren in Trogen und Bern ist sie in St.Gallen wieder gut gelandet: «Die Ostschweiz ist tanzfreundlich geworden. Hier ist dank der Tanzförderung viel passiert.» Und so wird von professionellen Tanzschaffenden wie Claudia Roemmel und Kjersti Sandstø hoffentlich noch viel zu sehen sein in den nächsten Jahren.

Obacht Kultur, Nr. 19, Heft 2/2014