Räume rennen nicht. Tanzende sind unterwegs.

by Kristin Schmidt

Wie arbeiten Choreografen und Choreografinnen? Sie notieren sich Schritte, zeichnen Bewegungen auf, setzen Zählzeiten und verlangen von den Tanzenden, genau diese Schritte und Bewegungen zu wiederholen. So arbeitet Philip Amann nicht. Der Choreograf und Tänzer gibt seine Grundidee an die Darstellenden weiter: «Ich versuche, Konzept und Essenz zu vermitteln und dann dem Ganzen eine Richtung zu geben. Ausserdem gebe ich Objekte in den Raum.» Das kann beispielsweise eine weisse, quadratische Bodenmatte sein. Die Aufgabe ist dann, sich selbst auf den Boden zu bringen, so langsam wie möglich und so umständlich wie möglich. Entstanden ist daraus das Stück «Wrestle yourself into the ground». Es wurde vor zwei Jahren im TanzRaum Herisau im Rahmen von TanzPlan Ost aufgeführt. Philip Amann tanzt es gemeinsam mit Kilian Haselbeck, und beide haben die Choreografie entwickelt. Sie bringt zwei Charaktere und Körper zusammen und begeistert, da die zwei Akteure in keinerlei Hierarchie zueinander stehen und sowohl kräftemässig als auch tänzerisch einander ebenbürtig sind.

Aktuell arbeitet Amann an einer neuen Choreografie. Das Thema des Stückes liegt in der Zukunft: Der Ausgangspunkt ist eine Geburt im Jahre 2076, nachdem Technik und Strom ausgefallen sind. Geraten die Menschen dann automatisch in den Urzustand zurück? Oder gelingt dies nicht mehr? Amann selbst tanzt nicht mit. Er arbeitet mit zwei Tänzerinnen, einem Tänzer, einem Dramaturg und einem Bassist. Eine Gruppe dieser Grösse stellt einige Herausforderungen an den Choreografen: «Ich muss alle bei Laune halten, auch mich selbst. Jeder, der mitmacht, sollte sich mit dem Stück identifizieren können. Also muss ich Spielraum offen lassen, aber auch entscheiden, wann ich nicht mehr auf neue Ideen eingehen kann.»

Amann sucht die Balance zwischen seinem Konzept und den Einfällen der Tanzenden. Es kommt vor, dass letztere umgeformt werden müssen. Das fällt nicht immer leicht – je nach Tagesform: «Es gibt Tage, da ist man weniger stark. An entspannten Tagen, kann ich mehr laufen lassen und trotzdem alles zusammenbringen.» Also doch lieber Solos tanzen? Für Amann ist das keine Lösung: «Das geht nicht mehr, da langweile ich mich selbst.» Stattdessen weitet Amann sein Interesse auf andere Bereiche aus, so hat er sich jüngst mit Tontechnik beschäftigt. Das Interdisziplinäre treibt den Ausserrhoder aber schon lange um, schon sehr lange. Als die Familie von Herisau nach Konstanz zog, litt der Achtjährige zunächst darunter. Doch bald zog es den Schüler ans Unitheater Konstanz. Dort suchte der Choreograf Konstantin Tsakalidis Tänzer und Schauspieler. Amann erlebte dramaturgische Arbeit aus der Nähe und wurde bald in die Stückbearbeitung einbezogen. Er lernte die Bühne von mehreren Seiten her kennen. Dann folgten die Ausbildungsjahre zum Tänzer und 2005 schliesslich die Gründung der Gruppe «crucible» gemeinsam mit seiner Schwester Cecilia Amann, Schauspielerin, einem Bühnenbildner, einem Videokünstler und einem Jazzpianisten.

Die Fünf erklärten es zu ihrem Ziel, die Kunstformen zusammenzuführen: Schauspiel, Tanz, Bühnengestaltung, Video und Musik. Jeder konnte sich und seine Ideen künstlerisch einbringen. Zudem sollten die Stücke nicht nur die eingeschworene Szene bedienen, sondern auch für Laien zugänglich und obendrein tourfähig sein. Seit der Gründung kamen weitere Ensemblemitglieder hinzu. Das war sehr bereichernd, aber auch anstrengend, so Amann: «Es vergeht viel Zeit damit, Dinge zu besprechen.» Die Zusammenarbeit gibt es noch, aber sie ist inzwischen lockerer geworden. Ohnehin gehen Amann die Projekte so schnell nicht aus. Immer wieder führen sie ihn auch in die Ostschweiz. Erst kürzlich erheilt er die Zusage vom Winterthurer Theater am Gleis für eine Aufführung von „Vom Cyborg zum Höhlenbaby- Evolution noch einmal in fast-motion für Sie“ (Arbeitstitel). Amann verdankt dies der TanzPlan Ost-Tournee: «Sonst würde mich in Winterthur keiner kennen.» Zweimal hat Amann schon beim TanzPlan Ost mitgemacht. Auch Kilian Haselbeck lernte er bei dem Tanzprojekt kennen. Und vielleicht führt es ihn irgendwann wieder ganz zurück in die Schweiz. Denn an seinem derzeitigen Arbeits- und Wohnort Berlin gibt es zwar viele Proberäume, aber «die rennen nicht weg. Wichtiger sind die Tanzenden, und da hat sich in der Schweiz viel entwickelt.»

Obacht Kultur, Nr. 19, Heft 2/2014