St.Galerie war einmal

by Kristin Schmidt

Braucht St.Gallen mehr Galerien? Weniger? Wieviele sind das Optimum? Wer braucht die Galerien? Der Markt? Die Kunstschaffenden? Das Publikum? Welche Räume sind attraktiv für die beiden letztgenannten? Was ist überhaupt eine Galerie? Geht es um die Kunst oder um den Kommerz? Lässt sich das trennen? Die Szene in St.Gallen ist in Bewegung, doch die Richtung des Weges ist ungewiss.

Vor wenigen Jahren wurde in St.Gallen das grosse Galeriensterben diagnostiziert. Susanna Kulli war 2004 nach Zürich gegangen, Wilma Lock hatte ihre Galerie 2009 geschlossen, die Galerie Friebe gab es nur drei Jahre lang, diejenige von Martin Jedlitschka gar nur zwei, zumindest am St.Galler Standort, und vor einem Jahr schloss nach 14 Jahren Tätigkeit die Galerie WerkART an der Teufener Strasse. Das Programm der Galeristinnen und Galeristen war sehr verschieden, ebenso wie die Gründe, aufzuhören. Oder gibt es ein grundsätzliches Problem für Ausstellungsräume dieser Art in St.Gallen? Wenn das so wäre, dann gäbe es die Galerie vor der Klostermauer nicht. Der kleine Kunstort in der Zeughausgasse besteht nun an immer demselben Platz seit 45 Jahren. Vor zwei Jahren war auch dort das Weiterbestehen ungewiss, das Konzept wurde hinterfragt, der Vorstand suchte Nachfolger. Aber der Übergang erfolgte nahtlos: Ein junges Team konzipiert weiterhin Ausstellungen regionaler Künstlerinnen und Künstler. Es wird viel ehrenamtliche Arbeit geleistet. Anteile an den Kunstverkäufen tragen nur zu einem kleinen Teil zum Gesamtbudget bei. Wichtiger sind da die Mitgliedsbeiträge.

Dass so ein Festbetrag von Vorteil sein kann, hat auch Francesco Bonanno erkannt. Seine Macelleria d´Arte betreibt er nun schon seit 25 Jahren in St.Gallen. Vor einigen Jahren hat er die Amici d´Arte gegründet, einen Freundeskreis, der seine Arbeit unterstützt. Nicht mit grossen Beträgen, sondern eher mit Kontinuität und einem verlässlichen Netzwerk. Davon abgesehen ist das Galeriegeschäft keines, das auf der Ertragsseite mit grossen Summen lockt. Zumindest nicht in St.Gallen, auch oder gerade dann nicht, wenn mit einem internationalen Programm gearbeitet wird. So, wie bei Paul Hafner. Er ist seit 20 Jahren in St.Gallen mit seiner Galerie. Ende letzten Jahres präsentierte er seine vielbeachtete Jubiläumsausstellung. Grosse Aufmerksamkeit fand sie allerdings nicht deswegen, weil die Kunst so schön, so hochkarätig oder so anspruchsvoll war, sondern weil sie überhaupt nicht zu sehen war. Paul Hafner zeigte die Werke verpackt. Was verkauft wurde, waren also die Namen, lokale aber auch internationale, bekannte eben. Der Galerist hielt den Konsumenten gewissermassen den Spiegel vor. Das Experiment sprach sich bis Zürich herum, funktioniert aber weder auf Dauer noch bei Einzelausstellungen. Was es allerdings beweist: Kontinuität ist auch hier wichtig, um ein gewisses Publikum anzusprechen. Zudem können, wenn das Programm stimmt, wenn bekannte Namen dabei sind, junge Unbekannte davon profitieren und sich wiederum zu festen Grössen entwickeln.

Dann aber gibt es jene Künstlerinnen und Künstler, die immer konsequenter, immer radikaler werden, damit werden aber auch die Verkäufe immer schwieriger. Ein sich entwickelndes Werk zu verfolgen, ist also finanziell nicht unbedingt lohnenswert, aber spannend. Auch Christian Röllin schätzt die langfristige Zusammenarbeit mit seinen Künstlerinnen und Künstlern. Zudem hat sie etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, sowohl für das potentielle Publikum, als auch für die Kunstschaffenden. So hatte er bei seiner ersten Ausstellung mit Jos van Merendonk keine Arbeit verkauft und die Bilder des Holländers dennoch immer wieder in St.Gallen gezeigt, im Vertrauen auf Qualität.

Kontinuität ist ein Wort, das alle Galeristen und die Galeristinnen immer wieder verwenden, selbst jene, die gerade angefangen haben, so wie Sonja Bänziger. Ihre Galerie gibt es erst seit einem dreiviertel Jahr und ihr ist klar, dass sie einen langen Atem brauchen wird. Und viel Eigeninitiative – damit ist nicht das Ausstellen eigener Werke gemeint – immer eine Gratwanderung für Galeristen, die eigentlich oder zugleich Künstler sind, so wie auch Francesco Bonanno. Den Vorteil dieser Doppelfunktion sieht er darin, die Probleme beider Seiten zu kennen. Dabei geht es einerseits ums Finanzielle, und andererseits darum, die Kunst überhaupt zu verbreiten, zu vermitteln. Bänziger versucht es, indem sie Lehrpersonal der Gewerbeschule direkt einlädt, mit ihren Schulklassen zu kommen, zudem will sie Kunst ausstellen, die sich verkaufen lässt. Ein Kompromiss also? Bänziger probt den Spagat: Im Erdgeschoss Kunst fürs Wohnzimmer oder die Terrasse und im Kellergeschoss dereinst die jungen Wilden. Nur scheinen jene gerade mit dieser Nachbarschaft Berührungsängste zu haben. Bänziger hatte den Kunstnachwuchs beispielsweise im Unraum direkt angesprochen, bisher jedoch keine Reaktion erhalten.

Ein schlechtes Zeichen ist es nicht unbedingt, wenn jene jungen Künstlerinnen und Künstler autonom bleiben, sich vom herkömmlichen Betrieb nicht vereinnahmen lassen wollen. Schon zweimal, im Januar 2013 und im Februar 2014, haben sie unter dem Motto «Unraum» jeweils ein leerstehendes Haus in der Stadt bespielt, haben es für nicht einmal zwei Wochen völlig umgestaltet, besetzt und danach wieder verlassen. Einfach so, ohne ein festes Kollektiv zu gründen, ohne ein nächstes Mal anzukündigen, geschweige denn einen nächsten Ort. Sich im voraus , wäre ohnehin schwierig, denn zum einen sind die Jungen am Anfang ihrer Kunstlaufbahn und verstreuen sich spätestens fürs Studium, begeben sich aus der Stadt, an einen Kunsthochschulplatz. Zum anderen sind geeignete Räume in St.Gallen nicht einfach zu finden. Kathrin Dörig und Nadia Veronese versuchen es trotzdem immer wieder. Auch wenn sich so manche fragen, ob es die Guerilla Galerie überhaupt noch gibt, denn nach den ersten drei Jahren hat sich die Ausstellungsfrequenz deutlich reduziert.

Ja, es gibt sie noch, und sie sind nach wie vor auf der Suche nach Räumen, denn an Ideen für künftige Präsentationen mangelt es ihnen nicht. Eher an Zeit, denn die beiden Frauen sind hauptberuflich an anderen Stellen des Kulturbetriebes aktiv. Ihre Galerie ist denn auch eigentlich keine Galerie im eigentlichen Sinne, die Künstlerinnen und Künstler sind allesamt anderswo unter Vertag und geben ein einmaliges Gastspiel. Eines, dass jedes Mal auch Leute anlockt, die sonst nicht selbständig Kunst anschauen gehen. Liegt es an den Orten? So ist zum Beispiel in die Ausstellung von Markus Kummer in der ehemaligen Käsehalle die gesamte Familie des Käsers gekommen – und war begeistert angesichts der Interventionen des Zürcher Künstlers.

Selbst wenn die Hemmschwelle an kunstfernen Orten niedriger sein sollte, gibt es auch andere Gründe für die grosse Resonanz auf die Ausstellungen der Guerilla Galerie. Das Netzwerk der beiden Galeristinnen ist gross und die Ereignisse sind zeitlich eng begrenzt. Drei Tage dauert jeweils eine Ausstellung. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass wirklich etwas verpasst, wer sie nicht gesehen hat. Ein wichtiger Punkt im St.Galler Kulturleben, in dem ja trotz aller Unkenrufe doch so einiges läuft. Das wird spätestens dann bewusst, wenn wieder einmal zwei oder sogar mehr Ereignisse am gleichen Abend stattfinden und die Frage im Raum steht, wer von den Veranstaltenden mit wem seine Agenda besser hätte abgleichen müssen.

Wie erreicht man die Zielgruppen sonst noch, wenn man sie nicht, wie in der überaus dichten Zürcher Galerienszene üblich, mit Brunch und Cüpli ködert? Christian Röllin geht mit den Freunden der Galerie regelmässig auf Kunstreise, macht Atelier- und Museumsbesuche mit ihnen. Paul Hafner versendet für die nächste Ausstellung mit Adalbert Fässler und Thomas Muff erstmals wieder gedruckte Einladungskarten. Lange Zeit gab es die Ankündigungen nur noch per Email. Schliesslich bedeuten Einladungskarten einen grossen Aufwand, angefangen von der Gestaltung über Druck, Eintüten bis Porto. Aber vielleicht klemmen sie doch eher an der Kühlschranktür, als im virtuellen Papierkorb zu landen.

Früher hatte Hafner seine Vernissagen jeweils mit den anderen Kunstorten im Haus abgestimmt. Früher, da waren seine Ausstellungsräume auf dem gleichen Gang zwischen der Galerie Susanna Kulli auf der einen und der Kunsthalle auf der anderen Seite. Die Gäste spazierten von einem Ort zum anderen. Seit die Kunsthalle im Erdgeschoss ist, funktioniert das nicht mehr. Da hilft es auch nicht, dass im Architekturforum, ein Stockwerk über Hafners Galerie, inzwischen die städtischen Kunstausstellungen stattfinden, das Publikum verteilt sich. Dennoch sind sich die Galeristinnen und Galeristen einig, zwei bis drei Galerien mehr täten der Stadt gut. Es gibt noch Potential. Es gibt Nachwuchs. Wäre schön, wenn es gelingt, ihn nachhaltig in der Stadt zu verankern, so dass St.Gallen auch für die Zeit nach dem anderswo absolvierten Kunststudium eine lohnende Option für gute Künstlerinnen und Künstler bleibt – eine bessere als damals, um 1980, als Josef Felix Müller seine St.Galerie in einem Schaufenster an der Langgasse betrieb, weil es an allen Ecken und Enden an Ausstellungsräumen mangelte.