Schönheit in Gefahr

by Kristin Schmidt

Manon geht neue Wege. Die letztjährige Preisträgerin des Grossen Kulturpreises St.Gallen zeigt in der Galerie Christian Röllin eine eigens eingerichtete Schau mit dem Charakter einer Retrospektive und dem Blick nach vorn.

Zuerst war da die Nische: ein dreiseitig geschlossener Raumfortsatz, gerade gross genug für eine Person – und für ein Wandtelefon. Nun hängt es da, schwarz auf rot, und verkündet im Minutentakt die Zeit. Eben noch war es zwölf Uhr und zehn Minuten. Kurz darauf hallt die Frauenstimme erneut durch die ganze Galerie. Schon zwölf Uhr elf Minuten. Die Zeit vergeht. Manon hält sie nicht auf. Aber sie bannt das Vergehen in prägnanten Bildern und Installationen. Ihre aktuelle Ausstellung in der Galerie Christian Röllin widmet die Künstlerin ganz der Zeit und der Vergänglichkeit und hat dafür nicht nur die Werke eigens zusammengestellt, sondern einige neu entwickelt. Darunter das alte Wandtelefon mit stetig sich aktualisierender Zeitansage.

Zuvor hat bereits das Motiv der Einladungskarte die gesamte Vanitastradition in der Kunstgeschichte auf den Punkt gebracht: Der Spiegel als klassisches Symbol der Eitelkeit erinnert daran, wie verletzlich der Mensch ist und wie kurz seine Zeit hienieden. Dafür steht auch der Totenschädel. Trägt er obendrein eine lange Nase, ist der Narr nicht weit. Auch dieser stand durch seine Gottesferne und seine Nähe zum Teufel jahrhundertelang für die Vergänglichkeit, also für den Tod. Im Werk Manons jedoch lädt er sich mit zusätzlicher Bedeutung auf. Ist nicht ein Narr, wer dem eigenen Bilde glaubt? Ist nicht ein Narr, wer das eigene Bildnis festzuhalten versucht? In Zeiten omnipräsenter Kameras kann das Werk Manons, ihr auf das Bildnis gerichtete Blick und die wechselnde Inszenierung einer Person, völlig neu interpretiert werden.

Die in St.Gallen aufgewachsene und in Zürich lebende Künstlerin drängt dabei niemandem eine Lesart auf. Es ist eine besondere Qualität ihrer Werke, dass die Figur Manon Inhalte transportieren kann, ohne am Persönlichen kleben zu bleiben. Sie bleibt offen für andere, neue Geschichten. Dies zeigt die Ausstellung eindrucksvoll in der Zusammenschau der Werke und den daraus sich anbahnenden Dialogen: Manon stellt bekannte Werke unbekannten gegenüber, löst Bilder aus Serien und erprobt ungewohnte Anordnungen. So hängen über Kopfhöhe sechs Knieprothesen – Fundstücke der Künstlerin und erstmals in Werkform präsentiert. Diese mechanischen Ersatzstücke, Relikte des menschlichen Mutwillens rücken die Gefahr des Versehrtseins immer wieder in den Fokus, auch in dort, wo sie ursprünglich weniger offenkundig angelegt war. Ein Operationsinstrument in einer Fotografie ist dann eben ein medizinisches Hilfsmittel und nicht so sehr ein erotisch oder anderswie befrachtetes Objekt.

Auch formal geht Manon mit der Ausstellung neue Wege und arbeitet beispielsweise eine Installation um: «Drei Schwestern» war üppiger ausgestattet vor Jahren im Kunstmuseum St.Gallen zu sehen und ist jetzt reduziert auf den dreiteiligen Schminktisch mit Spiegel. Diese geänderte Aufstellung lässt manches in anderem Licht erscheinen, etwa die drei Aufnahmen aus «Hotel Dolores»: Die ursprünglich emotional aufgeladene Serie entstand über drei Jahre hinweg und wirkt im Kontext der Ausstellung weniger gefühlsbetont und dafür formal strenger.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Zirkel, das Werkzeug der Konstruktivisten wie der Konkreten, immer wieder in Manons jüngeren Arbeiten auftaucht. Eine neue Nüchternheit ist im Werk der Künstlerin eingekehrt, die gerade in ihrer Reduktion und Strenge wieder neue gedankliche Räume öffnet. Wer aber dennoch die Opulenz ihrer Arbeiten vermisst, wird sich auf die geplante Publikation zu allen ihren Performances und Installationen seit 1974 freuen. Und den Fotofreundinnen und -freunden sei die Edition anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Galerie Christian Röllin empfohlen.