Faszination Sperrzone

by Kristin Schmidt

Der Frauenpavillon ist in seine 19. Saison gestartet. Aktuell präsentiert dort Jayn Erdmanski ihre Ausstellung „Re-flooded“. Sie thematisiert die extremen menschlichen Einflüsse auf das Ökosystem und seine Regenerierungskraft.

Die Zone: Ein Ort der Spekulation, ein verlorener Ort und im Falle von Andrej Tarkowkijs Film „Stalker“ ein fiktiver Ort der Wünsche. In der Realität entstand eine solche Zone 17 Jahre später. Die Katastrophe von Tschernobyl ereignete sich im April 1986. Christa Wolf schrieb dazu in ihrem Essay „Störfall“: „Jetzt schüttet der Mensch, zweitausend Kilometer von uns entfernt, mit Beton, Sand und Blei den glühenden Kern unserer verbotenen Wünsche zu.“ Der Traum, genügend Energie für alle und auf ewig bereitstellen zu können, war ausgeträumt, geblieben ist die Zone.

Das Gebiet rund um das Kraftwerk ist bis heute radioaktiv verseucht, die Menschen wurden umgesiedelt, aber viele Tiere und Pflanzen blieben und entwickelten sich. Inzwischen ist die Sperrzone attraktiv für Wissenschaftler, Fotografen und immer mehr auch für Touristen. Sie fasziniert einerseits die Abwesenheit des Menschen, in der die zurückgelassenen Zivilisationsfragmente sich zu einem eigentümlichen Bild fügen, andererseits lockt die überaus vitale Natur, die sich ihr Terrain längst zurückerobert hat und inzwischen auch in die leeren Städte und Dörfer übergreift.

Dieser Ambivalenz des Ortes kann nun im Frauenpavillon im St.Galler Stadtpark nachgespürt werden. Jayn Erdmanski hat hier für ihre Ausstellung eigens eine Installation entwickelt. Die Künstlerin betätigt sich darin wie bereits in früheren Arbeiten als Forscherin. Sie kultiviert Zuchtchampignons in Kartonschachteln, legt moosbewachsene Äste aus, lässt Kresse auf Watte keimen: Was passiert mit der Natur unter diesen besonderen Bedingungen? Wie reagiert sie fern ihres Biokosmos? Die junge St.Gallerin präsentiert die Natur in einer ausfeilten ästhetischen Inszenierung, einschliesslich lebender und weiterwachsender Elemente.

Natur kontrastiert mit extremer Künstlichkeit. So sind drei Couchtische aus geschnittenen Steinen aufgestellt und daneben solche aus Chromstahl und Glas. Eine fragmentierte Kleinplastik der Göttin Diana zu Pferd ist ebenso Teil von „Re-flooded“ wie eine Rettungsfolie vor dem Fenster und Vogelzeichnungen. Zeitungsberichte sind integriert und Charles Darwins Werk über die Entstehung der Arten. Besondere Aufmerksamkeit zieht ein Video auf sich, das Erdmanski im Internet gefunden hat: Der Dokumentarfilm zeigt einige Männer bei ihren Erkundungen in der Sperrzone. Die Aufnahmen haben durchaus einen wissenschaftlichen Anstrich, doch in den Bildern und dem Kommentar schwingt etwas Anderes mit. Hier ist mehr im Spiel als nur das Interesse, Veränderungen des Ökosystems zu ergründen. Es ist die Faszination an diesem blühenden postnuklearen Garten Eden, hinzu kommt die Lust an der Gefahr, am Grauen sogar, das unweigerlich mit dem Reaktorunfall verbunden ist.

Die Sperrzone ist ein mythischer Ort, entstanden durch menschliche Hand, aber nun ganz sich selbst überlassen. Erdmanski untersucht mit ihrer Arbeit die Anziehungskraft dieser Zone, eine kleine Ausstellung, aber eine über ein Thema mit grosser Sogwirkung.