Monika Sennhauser: NOWS Städtische Ausstellung im Architekturforum Ostschweiz

by Kristin Schmidt

Eine Einführung

Am 5. September 2012 erhielten Freundinnen und Freunde, Bekannte und Künstlerkolleginnen und -kollegen eine Email von Monika Sennhauser mit folgender Einladung:

’Eine Kamerafahrt von deinen Fussspitzen bis zum Fokus der Sonne’

Viele Personen werden von verschiedenen Orten rund um den Erdball, am Tag der Tagundnachtgleiche vom Samstag, 22. September 2012, zur gleichen Zeit von ihrem Standpunkt aus –– eine einminütige Videoaufnahme mit ihrem Smartphone machen und danach das Video direkt per Mail an mich senden…

Wer eine positive Rückmeldung an Monika Sennhauser gesandt hatte, erhielt kurz darauf eine weitere Email mit detaillierten Instruktionen zur Zeit (zeitgleich zu St.Gallen/Zürich Switzerland: 16:50 h (4:50 PM) UTC)), zur Technik (einfache Videokamera, beispielsweise ein Smartphone) und zur Durchführung der Kameraaufnahme. Alles war minutiös beschrieben, auch der Fall, dass bei Teilnehmenden gerade Nacht sein würde zum Aufnahmezeitpunkt oder die Sonne wegen wolkenverhangenen Himmels nicht zu sehen sei. Zudem waren Speicherung, Benennung der Dateien und der Versand detailliert beschrieben. Monika Sennhauser hat ihre Email weit gestreut. Das Ergebnis der gesammelten Kamerafahrten zeigt sie nun hier im Architekturforum.

So wie die Teilnehmenden der Arbeit ihre Kamera zunächst auf ihre Fusspitzen richteten, sind die entstandenen Videosequenzen nun horizontal am Boden zu sehen. Vom Boden aus geht die Fahrt der Kamera mit einer einzigen geraden und direkten Bewegung bis zum Fokus der Sonne. Die Arbeit erzählt viel: Sie ist getragen durch die Verfügbarkeit hochentwickelter Technik. Sie repräsentiert die globale Vernetzung mittels neuer Medien, und die dennoch sich behauptende Vielfalt der Kulturkreise. Die Aufnahmen stammen aus Kalifornien, Mexiko, Texas, New York City, Kanada, Südamerika, Grönland, London, Ägypten, in der Schweiz unter anderem aus Zürich, Bellinzona, St. Gallen, oder aus China, Malaysia und anderswo. Diese Vielfalt ist beeindruckend, ebenso wie sie einigen anekdotischen Charakter hat. Aber all das sind in Monika Sennhausers Arbeit Nebeneffekte. Ihr eigentliches Thema ist es, die Drehung der Erde um die Sonne darzustellen. Schon seit einigen Jahren hat die St.Galler Künstlerin daran gearbeitet zu zeigen, dass die Erde der Sonne folgt, ihr nachdreht. Ziel ist es, die scheinbare Bewegung der Sonne nicht mitzumachen und dadurch die Bewegung der Erde sichtbar zu machen.

Monika Sennhauser hat verschiedene Wege ausprobiert, viele Experimente gemacht, ist weit gereist. Ihr persönlicher Erkenntnisdrang mündet in eine vielseitige künstlerische Erkundungs- und Darstellungspraxis. Nicht nur Sonne und Erde sind ihre grossen Themen, sondern auch Licht und dessen Brechung, Farben und andere optische und astronomische Phänomene. Aus dem bewussten Sehen heraus entwickelt sie präzise Fragestellungen: Ist der Bogenverlauf der Sonnenbahn auf der anderen Seite der Erdhalbkugel ein anderer als hier oder genau gegengleich? Wie lässt sich die Erdbewegung um die Sonne bildlich fassen, im Gegensatz zur scheinbar zu beobachtenden Sonnenbewegung? Wie öffnet ein Spiegel den Raum, und wie beeinflusst er die Wahrnehmung eines Gegenstandes?

Sennhausers künstlerische Werke sind mehr Experiment als Objekt. Das Material für ihre Versuchsmodelle findet sie St.Galler Künstlerin oft an unvermuteter Stelle und konstruiert damit bis ins Detail durchdachte Anordnungen, die den Blick selbst dann öffnen, wenn Monika Sennhauser bekannte, alltägliche Dinge verwendet. Zum Beispiel im Architekturforum: Mit NOWS 1 und NOWS 2 hat die Künstlerin zwei Installationen eigens und temporär für die aktuelle Ausstellung entwickelt. Vier Tische aus dem Fundus des Architekturforums und fünf Spiegel sind das einfache Vokabular beider Arbeiten. Das Ergebnis sind hochkomplexe Wahrnehmungsstudien: Was lässt sich alles beobachten? Was ist ein Tischbein? Was ist ein gespiegeltes Tischbein? Ist es ein halbdurchlässiger Spiegel? Wo entsteht räumliche Wirkung? Wo wird der Raum beschnitten? Wie brechen sich die Linien, wie ziehen sie sich weiter? Monika Sennhauser verzichtet darauf, die Anordnung als Werk auszuformulieren, die ephemere Situation ist ihr ebenso wichtig wie die flüchtigen visuellen Eindrücke. Sie ist eine genaue Beobachterin, die es mit ihren ausserordentlich präzise konstruierten Arbeiten ermöglicht, an Seh- und Verstandeserlebnissen teilzuhaben.

2011 filmt Monika Sennhauser zwei Himmelsausschnitte. Mit dem Titel der Arbeit Zwei Fenster 2011, Pissarro – Newman bezieht sie sich auf zwei Maler, denen wenig gemein zu sein scheint. Barnett Newman setzte in seiner Werkgruppe der zip-Bilder über die monochromen Farbflächen seiner grossformatigen Gemälde schmale vertikale Balken in Kontrastfarben. Sie sind trennendes und zugleich verbindendes Element. Camille Pissarros Grosser Birnbaum in Montfoucault (1876) aus der Sammlung des Kunsthauses Zürich funktioniert entgegengesetzt zu Newmans zips. Hier zerteilt ein grosser Birnbaum den einen Himmel in zwei Flächen. Sie sind nicht nur verschieden gross, sondern auch verschieden farbig. Rechts dominiert ein helles Blau mit weissgelb leuchtenden Zirruswolken, links dagegen ist der Himmel verschattet zu einem dunklen Blauton. Monika Sennhauser visualisiert in ihrem Video ebenfalls Trennendes und Verbindendes. Der Zwischenraum ist kein nachträglich eingefügtes Element, sondern Teil des gefilmten Bildes: Die Künstlerin platzierte zwei Spiegel auf dem äusseren Fenstersims und filmte beide dann mit nur einer Kamera. Die Wolken ziehen also tatsächlich von einer Seite auf die andere hinüber und gleiten am Spiegelzwischenraum vorbei. So spürt Monika Sennhauser dem ästhetischen Reiz bekannter Erscheinungen nach. Die Ausstellung lässt Bekanntes neu sehen. Sie sensibilisiert für Farb-, Form- und Flächenverhältnisse und das Potential eines offenen Blickes.