Tanz von Bohl bis Lok

by Kristin Schmidt

Am vergangenen Wochenende wurde schweizweit getanzt. In St.Gallen wurde an vielen Stationen mitgetanzt, nachgetanzt und zugeschaut.

Ein paar der türkisfarbenen Tanzfestballons hatten sich losgerissen und stiegen hoch in den Himmel auf. Während ihnen einige Blicke folgten, hatte die fünfte Ausgabe Tanzfest schon begonnen – unbemerkt, still und ebenfalls in Türkis. Die Stiftung Freizeit und Kilian Haselbeck hatten sich ins Innenstadtleben gemischt, genauer unter die Wartenden am Bohl. Zu dritt nahmen sie Bewegungen auf, variierten sie und gestalteten daraus spontane Tanzsequenzen in raschem Wechsel. Ebenso plötzlich wie sie erschienen waren, verschwanden sie in einem Postauto – viel zu schnell. Aber schon eine dreiviertel Stunde später war ein sogenannter Flashmob der Schweizerischen Trachtenvereinigung am Bohl angekündigt. Also wurde intensiv nach Trachten Ausschau gehalten. Als jedoch die Akkordeonmusik einsetzte, lösten sich immer mehr Paare aus der Menge und tanzen ganz ohne traditionelle Kleidung. Eine gute Idee, denn so zeigte sich, dass Volkstanz nicht davon lebt, touristisch vorgeführt zu werden, sondern aus sich heraus Spass macht. Das war den Tanzenden deutlich anzusehen und übertrug sich auch aufs Publikum.

In zahlreichen Workshops und Kursen konnten sich Tanzbegeisterte dann am Freitag, Samstag und Sonntag selbst noch weiterbilden. Aber auch für jene, die einfach nur gern zuschauen, gab es dazu viele gute Gelegenheiten. Zum Beispiel am Freitagabend in der Grabenhalle. Dort zeigte die Rotes Velo Tanzkompanie ihr Stück «Uppercut» (siehe Besprechung vom 6. März 2014) in einer radikalisierten Version. Anschliessend traten Meret Schlegel und Kilian Haselbeck mit «orthopädie or to be» auf. Im Duett zweier Individuen wurde das Prinzip von Actio und Reactio reflektiert. Mit nur zwei Dutzend Wäscheklammern und zwei überzeugenden Tanzprofis – so einfach, so gut. Auch der zufällig hereintaumelnde Nachtfalter passte in die Choreographie spielerischer und experimenteller Bewegungen.

Beim Tanzrundgang am Samstag zeigte sich dann erneut, dass guter Tanz Gegebenheiten aufnimmt und kreativ weiterentwickelt. Der erste Tanzrundgang fand am Nachmittag während des grössten Einkaufsrummels statt, der zweite dann am Abend in der beinahe leergefegten Fussgängerzone. Es wurde ein Start mit Hindernissen, denn der Aepliplatz ist so neu, dass er auf manchem Stadtplan noch nicht verzeichnet ist. Schliesslich hatten sich aber 70 Unverdrossene bei Regen und Kälte eingefunden, um Exequiel Barreras und Tobias Spori von der Tanzkompanie des Theaters St.Gallen im eigens eingerichteten Freiluftbüro zuzuschauen. Die Atemwölkchen dampften und Monotonie am Arbeitsplatz schlug um in dynamischen Übermut – wenn dies ansteckend ist, könnte das die eine oder andere Büropflanze am Montagmorgen zu spüren bekommen.

Auch Silvia Salzmann und Leonie Humitsch begegneten sich an einem Tisch. Die beiden österreichischen Tänzerinnen inszenierten ein Mit- und Gegeneinander am Multertor. Von dort ging es weiter an den Bahnhofsplatz, wo sich Kjersti Sandstø und Konrad Stefanski auf die Spur des heutigen Körperbewusstseins begaben: Was dem einen Yoga und Vergeistigung ist der anderen Botox und Stiletto. Dabei wurde der Lämmlerbrunnen kreativ miteinbezogen. Da er aber zugleich mit dem Regen um die Wette plätscherte, waren alle froh, dass die letzte Station die westliche Bahnhofsunterführung war. Claudia Roemmel und TIP Freiburg tanzten hier eine «Instant-Composition». Dreissig Tanzschaffende aus dem In- und Ausland fügten sich zu kraftvollen Bewegungsflüssen, hielten Gegenströme aus bis alle Elemente erfasst waren. Wer hätte gedacht, dass die Tiefgarage so einen ausgezeichneten Resonanzraum abgibt und sich der Durchgangsort zum Innehalten eignet. Da er aber trotzdem kalt und zugig blieb, war die anschliessende Choréoké-Nacht in der Lokremise ideal, um sich warm zu tanzen.

(Lange Version. Kurzversion hier)