Bläss in Stall und Haus

by Kristin Schmidt

Tierarzt und Gemeindepräsident Niklaus Sturzzenegger hat so manchen Bläss erlebt. Eine Gesprächnotiz für Obacht Kultur.

Die einen heissen Bijou vom Buchenstock, Amadeus von Appenzell oder Gletscher von Bärgfrüehlig, die anderen Blässli, Bläss oder Frisch. Die einen sind reinrassig mit Stammbaum, die anderen sind reinrassig oder vielleicht auch nicht, jedenfalls sind sie ohne Stammbaum auf der Welt. Appenzeller Bläss sind sie trotzdem und werden sogar so gerufen, kurz und knapp und unverkennbar.

Niklaus Sturzenegger, früher Tierarzt in Trogen, seit 7 Jahren daselbst Gemeindepräsident, hat viele Hofhundnamen gehört und ist vielen Bläss begegnet. Unterschiede zwischen reinrassigen und nichtreinrassigen Hunden hat er nicht erlebt. Sicher ist, wenn einer wie ein Appenzeller Bläss aussieht und auf einem Appenzeller Hof arbeitet, dann ist er auch hier entstanden. Und der Wert eines Appenzeller Bläss liegt für die Bauern ohnehin nicht in einem Stammbaum oder in der früher oft für den Hund bezahlten Zwanzigernote, sondern in den besonderen Fähigkeiten der Bläss, ihrem Trieb zum Treiben oder Hüten einer Herde. Dazu gehört auch das „Stechen“, das blitzschnelle Kneifen ins Fesselgelenk des Viehs.

Sind sie also doch Wadenzwicker oder ist das nur ein Vorurteil? Hinterhältig sind Bläss laut Sturzenegger jedenfalls nicht. Dass sie sich von hinten nähern, hat einfach mit ihrer Aufgabe zu tun, Druck zu machen, vorwärts zu treiben. Kein Wunder, sind Bläss bei Kühen nicht beliebt. Sturzenegger hat selbst miterlebt, wie Kühe einem Bläss auch Kontra gegeben haben. So hält sich denn auch ein Bläss nie zwischen den Kühen auf. Ausserdem gehört er nicht in den Stall. Sein Ort ist die Tenne oder Vorbrugg. Freilich schlich sich manchmal ein Bläss in den Stall, frass die Saukost mit oder die Nachgeburt der Kühe und Sauen. Bei der heutigen Laufstallhaltung geht das nicht mehr, hier würden die Kühe dem Bläss schnell gefährlich werden.

Inzwischen wohnen Bläss ohnehin öfter in Hundehütten und werden auch als Familienhunde gehalten, das heisst, sie dürfen ins Haus. Die Einstellung gegenüber den Bläss hat sich geändert, oder vielmehr, es existiert eine neue neben der bisherigen. Nik Sturzenegger kennt beide Seiten: jene Menschen, die als Nutztierhalter entscheiden, und jene, denen die Tiere mehr als nur nützliche Helfer sind. So oder so: Die meisten Bauern haben eine gute Beziehung zum Tier, aber sie hat Grenzen. In der Nutztierhaltung muss die Wirtschaftlichkeit gewährleistet bleiben, das gilt auch für Frakturbehandlungen oder andere Therapien, für grosse und für kleine Tiere. Allerdings waren Bläss so oder so selten Sturzeneggers Patienten. Er war auf die grossen Tiere spezialisiert, doch wenn er jene in den Ställen aufsuchte, kam er stets auch an den Bläss vorbei: „Als Tierarzt hatte ich immer auch mit den Hofhunden Kontakt und wurde regelmässig von den gleichen angebellt oder sogar verbellt.“ Aber so schnell vertreibt ein Bläss keinen wie Sturzenegger. Bald einmal kannte der Tierarzt die Hunde und bei jedem einzelnen wusste er, wie jener am besten angesprochen wurde, denn „ein guter Bläss hört zu“. So funktioniert beim Bläss auch die Weitergabe seiner Fertigkeiten, denn die Grundanlage ist das eine und die Erziehung das andere: „Entscheidend ist, wie ein Hund erzogen wird, was er gewohnt ist, wer seine Gspänli sind.“ Dazu gehört auch der ältere Hund, der dem jüngeren vieles beibringt. Oft hielten und halten sich die Bauern zwei Hunde. Wobei sich auch hier einiges geändert hat, denn „Bauernhunde jüngeln zweimal im Jahr.“ Nicht alle der jungen Hunde überleben die ersten drei Monate. Inzwischen hat sich aber die Praxis des Kastrierens weiter verbreitet. Das hat einerseits den Vorteil, dass keine überzähligen Hunde auf die Seite gebracht werden müssen, denn das tut kein Bauer gern, andererseits bleiben die Hunde, statt auf Partnersuche wochenlang abwesend zu sein auf dem Hof – dort, wo sie gebraucht werden, dort, wo sie auch ihr Gnadenbrot erhalten, weil die Bläss eben einfach dazugehören.

Obacht Kultur No. 18, 2014/1