Der Untergrund in Schönengrund

by Kristin Schmidt

Die Kulturlandsgemeinde 2014 ist auch ein Kunstort. Georg Gatsas, die beiden Schauspielerinnen Jeanne Devos und Karin Enzler und das Kunstkollektiv FMSW zeigen ihre Interpretationen des diesjährigen Mottos „Mitten am Rand“.

Künstlerinnen und Künstler zieht es oft in die Mitte. Aber auch das Leben ausserhalb der grossen Zentren kann anregend sein. Georg Gatsas kennt beides: Metropole und Peripherie. Seit einigen Jahren lebt er in Waldstatt, arbeitet hier abgeschieden und mit ausreichend Platz für sein Fotoarchiv. Zugleich zieht es ihn in die Grossstadt. Aktuell ist Gatsas als zweiter Stipendiat des Ausserrhoder Artist-in-Residence-Programms in London unterwegs. Hier will er seine 2008 begonnene Arbeit über die Dubstep-Szene abschliessen, um sie dann als Buch zu publizieren. Fotografien aus der Serie zeigt Gatsas jetzt an der Kulturlandsgemeinde in Schönengrund.

Der Künstler porträtiert die Vertreter dieser Londoner Musikszene. Oft fotografiert er sie im Club, hebt sie mit dem Kamerablitz für einen Sekundenbruchteil heraus aus der tanzenden Menge, bannt ihre Bewegung in einem intensiven, flüchtigen Moment ihres Lebens. Sie sind mittendrin und doch ganz für sich, das gilt zugleich für die ganze Szene. Und es gilt ebenso für die Schauspielkunst: Schauspielerinnen und Schauspieler sind präsent auf der Bühne, im Film oder im öffentlichen Raum. Sie stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit und sind doch immer Teil eines grösseren Ganzen. Denn der Schauspielberuf braucht Publikum, er braucht Regisseurinnen, Dramaturgen, Theaterautorinnen oder Souffleure.

Jeanne Devos und Karin Enzler reisen zum Auftakt einer jeden Kulturlandsgemeindeplattform in ihrem Metier herum. Die beiden Schauspielerinnen liefern persönliche, sinnliche Erfahrungsberichte zu Rand und Mitte eines Berufes. Schliesslich sind sie Künstlerinnen einer ganz besonderen Sparte: Sie können Figuren heraufbeschwören und sie wieder gehen lassen. Sie agieren mit jedem Stück temporär begrenzt und hinterlassen dennoch bleibende Eindrücke. Und sie sind unterwegs, im Leben und mit jedem Projekt. Die Frage nach dem Mittelpunkt, dem Woher und Wohin ist also viel mehr als nur eine des Ortswechsels. Aber selbst geografisch ist sie nicht einfach zu beantworten.

Das Künstlerkollektiv FMSW hat sich nichts weniger vorgenommen, als den Mittelpunkt der Erde zu finden, von Schönengrund aus. Dass dies nicht einfach wird, ist ihnen durchaus bewusst. Da wäre zum einen das Definitionsproblem, denn die Erde gleicht eher einer Kartoffel als einem Ball. Wo also ist die Mitte? Auf jeden Fall liegt sie in Schönengrund zusätzliche 844 Meter über dem Meer. Aber von solchen Details lassen sich Lina Faller, Marcel Mieth, Thomas Stüssi und Susanne Weck nicht einschüchtern. Die vier Absolventen der Kunsthochschule Berlin-Weissensee haben die Schaufeln in die Hand genommen und angefangen zu graben. Wie weit sie dabei kommen, ist zweitrangig, viel mehr zählt die Lust, es zu versuchen und sich dabei von Hindernissen nicht beeindrucken zu lassen. So machen Wassereinbrüche und Sandsteinbrocken die Grabungen nicht einfacher. Wer weiss, vielleicht kommen auch noch jene Riesenpilze dazwischen, die Jule Vernes Romanhelden auf ihrer Reise zum Mittelpunkt der Erde entdeckten?