Podcastradio für alle von allen überall

by Kristin Schmidt

Sozialarbeit braucht zwischenmenschlichen Kontakt und persönliches Engagement, dann kann sie die Gesellschaft positiv verändern, sie mitformen. Letztere sind seit der Aufklärung zentrale Ziele der Kunst. Daran gearbeitet wird bis heute, beispielsweise von der Italienerin Marinella Senatore.

Kunst und Sozialarbeit haben zusammengefunden – spätestens seit Beuys´ „sozialer Plastik“. So richtig präsent wurde die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den 1990er Jahren. Ein alter Hut also angesichts der schnelllebigen Kunst? Solange die gesellschaftlichen Fragen im sozialen öffentlichen Raum ungelöst sind, solange das Gemeinwesen erhebliches Entwicklungspotential aufweist, solange werden Künstlerinnen und Künstler in der sozialen Partizipation ein ergiebiges Betätigungsfeld finden. Marinella Senatore (*1977) ist eine von ihnen. Die Künstlerin bringt tausende Menschen zusammen; Laien und Profis, Handwerksleute und Studierende, Arbeitslose und Kulturschaffende. Oft sind ihre Projekte langfristig angelegt und funktionieren an mehr als einem Ort, in mehr als einem Land. In der Kunst Halle Sankt Gallen stellt sie beispielsweise die „School of Narrative Dance“ vor. Die kostenlose Schule will das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden stärken, indem sie lernen, ihre Fähigkeiten aus eigenem Antrieb weiterzuentwickeln und sich in verschiedensten Kulturtechniken üben. Der erste Schritt ist für viele schon, dass sie überhaupt einbezogen werden, zumindest gilt das für die Menschen auf Sardinien mit seiner vergleichweise hohen Arbeitslosen-, Kriminalitäts- und Analphabetenrate – in Schweden mag das anders aussehen. Ein Projekttagebuch zeigt die Stationen der mobilen Schule und ist zugleich das fassbarste Element der Arbeit, weil es den Umfang der Idee vermittelt. Alles andere, wie etwa das grossformatige Foto einer Performance, Zeichnungen von Unterrichtssituationen oder Filmausschnitte, bleibt anekdotisch.

Deutlich zeigt sich in der Ausstellung der Widerspruch zwischen einer auf direkte Prozesse angelegten Arbeitsweise und dem Wunsch nach ästhetischer Reflektion. Die Notizen zur Musicalproduktion „Speak Easy“ etwa sind für sich genommen sehenswert, wirken vor dem Hintergrund der eigentlichen Arbeit aber eher illustrativ als dokumentarisch. So tut es der Ausstellung gut, dass Senatore eigens für St.Gallen ein neues Projekt lanciert hat: Estman Radio, ein permanentes, kostenloses Podcast-Radio. Alle sind eingeladen mitzuwirken und Gedanken, Reden, Musik und alles, was sonst noch akustisch funktioniert, einzusenden oder direkt in der Radiokabine aufzuzeichnen. Die Ausstellung dient als Plattform, um eine neue produktive Gemeinschaft ins Leben zu rufen, die weit über die Räume der Kunsthalle hinauswirkt.

Marinella Senatore „Public Secrets“, Kunst Halle Sankt Gallen, Davidstrasse 40, 9000 St.Gallen, www.k9000.ch

Aktuelles Projekt: www.estmanradio.com