Weltenbummler aus Fensterkitt

by Kristin Schmidt

Die Verträumten haben es manchmal nicht leicht, in einer Welt, in der alle und immer unterwegs sind. Aber wenn sie sich nicht beirren lassen, finden sie ihr Glück, so wie der kleine Piet in einem Stück des Berliner TheaterGeist.

Wer sucht, der findet. Doch bei weitem nicht immer das Gesuchte, sondern mitunter etwas ganz anderes. Etwas, dass gar nicht vermisst wurde. Das vielleicht schon ganz lange versteckt, verborgen ist und nun umso grössere Wiedersehensfreude bereitet. Es erzählt Dinge aus einer anderen Zeit, ruft alte Bilder und Geschichten hervor. So geht es Mariken. Eigentlich waren die weissen Tanzschuhe verschwunden, statt dieser taucht eine alte Kiste auf – voller Kinderschätze. Eine Lampe vom alten Leuchtturm gehört dazu, ein Fernrohr und ein Modell vom Fischkutter „Rosemarie“. Kein Wunder, dass der geplante Tanzabend in weite Ferne rückt. Erst einmal geht’s nun zurück in die Kindheit und von dort auf Reisen übers weite, weite Meer.

Das TheaterGeist hat die Ostsee ins Figurentheater St.Gallen gebracht, inklusive Möwengeschrei, Wellen, Sturm und Strandläufer. Von diesen gibt es viele, aber es gibt nur einen Piet. Der kleine Strandläufer verzettelt sich, ist verträumt, oder eben vertüddelt, denn ein bisschen hanseatisch gehört zu einer Ostseegeschichte. So kommt Piet denn auch zu spät zum Abflugtermin des Vogelschwarms. Was nun? Piet ist keiner, der aufgibt. Er glaubt an sich, er kann auch ohne die anderen, er ist klein und hat einen grossen Mut. Und schliesslich reist er den anderen hinterher.

Annegret Geist erweckt ein Klumpen Fensterkitt zum Leben. Schon fliegt er übers blaue Meer, der weit entfernten Tundra entgegen, fliegt und fliegt und lässt sich nicht von Fischernetzen oder Hunger, ja nicht einmal von seiner kleinen Angst unterkriegen.

Tundra, Hühnergötter, Windstärke 12 und die kleine Angst – die Berlinerin verwendet für all dies anschauliche Bilder. Nicht solche, die alles erklären, sondern solche, die der Vorstellungskraft Schub geben und selbst die abstraktesten Dinge noch begreiflich machen, weil sie sich an das anlehnen, was selbst Kinder kennen. Auch wenn sie nie am Meer gewesen sind und schon gar nicht in der Tundra. Annegret Geist übersetzt beispielsweise die ganze Beaufortskala teils in Worte, teils in Bewegungen und Mimik. Ihre lebendige Sprache enthält immer wieder plattdeutsche Einsprengsel und richtet sich an jedes einzelne Individuum im Publikum. Jede und jeder darf sich angesprochen fühlen vom manchmal etwas forschen, manchmal selbst etwas vertüddelten Mariken.

Die Möwen hingegen kreischen immer nur den armen Piet an. Wird er es schaffen? Die runde Bühnenscheibe schwankt, blau ist sie auf der einen und mit einer Landkarte bedruckt auf der anderen Seite. Sie ist die weite See und das ferne Ziel. Und am Ende wird Piet angekommen sein, auch wenn es nicht die Tundra ist. Und Mariken wird zum Tanz gehen, zu ihrem Matten, der einmal der „Lütt Matten“ war. Beide Figuren sind nicht ganz zufällig dem Kinderbuchklassiker von Benno Pludra entnommen: Auf diesem beruht die nächste Produktion des Theaters Geist. Auch „Kleiner Piet – was nun“ ist einem Kinderbuch entlehnt, geht aber weit über die Vorlage hinaus und lässt noch lange schöne Bilder im Kopf zurück.