Spuren der Architektur

by Kristin Schmidt

Im Palais Bleu ist die neunte Folge der Ausstellungsreihe LeLieu in zwei zeitlich voneinander getrennten „Interventionen“ zu sehen. Die St. Galler Kuratorin Céline Gaillard hat Künstlerin Angela Wüst eingeladen.

Die Spurensicherung hat schon vor einigen Jahren stattgefunden. Dann nämlich, als das ehemalige Bezirkskrankenhaus und spätere Pflegeheim in Trogen in eine Wohngenossenschaft von Kreativen verwandelt wurde. Sie haben die Geschichte des Hauses erforscht, die Qualität des Baus genutzt und herausgearbeitet. Sie haben die Zeichen und Objekte der Vergangenheit gesichert oder in etwas Neues verwandelt. Letztgenannter Prozess dauert immer noch an. Karin Bühlers Ausstellungsreihe „Le Lieu“ ist ein Teil davon.

Die Künstlerin lädt in losen Abständen Kuratorinnen oder Kuratoren ein, die dann ihrerseits Kunstschaffenden vorschlagen, im Palais Bleu zu arbeiten. Immer entstehen raum- oder ortsbezogene Werke. Mitunter sind sie vergänglich, manchmal schreiben sie sich ins Haus ein. Doch noch nie waren sie so zeitlich begrenzt wie die Installation von Angela Wüst – zeitlich begrenzt und dennoch von grosser visueller und innovativer Kraft.

Die junge Zürcher Künstlerin (*1986) arbeitet seit längerem daran, der Fotografie ihren Raum zurückzugeben. Der reale Raum wird in der Fotografie stets um eine Dimension beschnitten. Es ist ein abstrahierendes Medium, das Tiefe nur indirekt und unvollkommen vermitteln kann, etwa durch sichtbare Überschneidungen, durch Grössendifferenz oder Farbperspektive. Eine Fassade mit all ihren Vorsprüngen, Simsen, auskragenden oder zurückversetzten Details bleibt in der fotografischen Aufnahme eine flächige Addition von Elementen. Aber genau diese Einschränkung reizt Angela Wüst.

Als die Kuratorin und Kunstgeschichtestudentin Céline Gaillard mit der Künstlerin zu einem ersten Besuch nach Trogen kam, fielen Wüst die Appenzeller Bauernhäuser mit ihren schönen, durchdacht gestalteten Details auf, aber auch die zeitgenössischen Transformationen und Zugaben. Die Künstlerin fotografierte sie mit Diafilmen. Die Diaaufnahmen projizierte sie auf eine Ansammlung von Baumaterialien und fotografierte erneut. Die Leisten und Bretter, ihre Schatten und Überschneidungen wurden so zum Bestandteil der ursprünglich abgelichteten Architektur und entfalten ein gemeinsames Volumen.

Im Palais Bleu installiert, öffnen sie vielschichtige Fenster in den Aussenraum. Aber auch den Aussenraum selbst hat Wüst im ersten Teil ihrer Intervention bespielt. Eine schmale, haushohe Wand auf der Rückseite des Gebäudes diente ihr als Projektionsfläche für ein Video. Passgenau, randabfallend sind grossstädtische Hinterhöfe zu sehen. Langsam fliegen Schatten darüber – wie vorbeiziehende Erinnerungslücken. Die Arbeit funktioniert als Sinnbild für die identitätsstiftenden Qualitäten von Architektur. Die meisten Menschen wechseln in ihrem Leben ihre Wohnungen, auch die Bewohner des Pflegeheims und des Bezirkskrankenhauses Trogen haben das getan. Und alle erinnern sich an die Plätze, an denen sie lebten, mal deutlich, mal weniger deutlich, mal angenehm, mal von Schatten durchzogen. Angela Wüst hat dafür ein eindrückliches Bild gefunden. Es macht neugierig auf den zweiten Teil der Intervention.

Intervention Teil 2: Palais Bleu, Trogen, Freitag, 14. Februar ab 18:00