Kartographie und Kunst im Klosterraum

by Kristin Schmidt

Die aktuelle Ausstellung im Kulturraum am Klosterplatz präsentiert Karten und Pläne aus dem Staatsarchiv St.Gallen. Auch für Kunstschaffende sind Landkarten ein ergiebiges Thema, aktuelle Beispiele zeigen wie gut Kartographie und Kunst zusammenwirken.

Wanderkarten bilden die Landschaft ab, rechteckig, flach, mit Linien und manchmal in Farbe. Zeichnungen können ebenfalls die Landschaft zeigen, und sie sind auch rechteckig, flächig und bestehen meist aus Linien, manchmal auch aus Farbe. Wanderkarten sind fast immer gefaltet; Zeichnungen fast nie. Warum nicht auch einmal eine Zeichnung falten? Schliesslich schafft die Falte einen dreidimensionalen Raum. Gefaltetes Papier ist nicht mehr nur flächig, sondern gewölbt, gebogen, es bildet Täler und Hügel.

Sandra Kühne hat es ausprobiert: Anlässlich der Ausstellung „St.Gallen à la carte“ hat die Künstlerin ein Blatt Papier vollständig mit Grafit bedeckt, es anschliessend zerknüllt und wieder ausgebreitet. Nun hängt es im Kulturraum am Klosterplatz im Streiflicht und die Augen können in den Knitterfalten trefflich spazieren gehen – wie in einem Landschaftsrelief.

Die eigentliche Spezialität Sandra Kühnes sind aber ihre Papierschnitte: Gerippe von Plänen, Karten oder wissenschaftlichen Darstellungen. Sie waren schon hin und wieder in der Region ausgestellt, so etwa in der Guerilla Galerie oder im Zeughaus Teufen, aber die Künstlerin entwickelt diese Werkgruppe immer weiter. So gibt es auch diesmal etwas Neues zu sehen: Sie zeigt sie ihren Heimweg in Zürich als minimalistische Lineatur, hat die Vogelflugrouten über einer Weltkarte mit dem Skalpell isoliert oder die Entdeckerrouten in der Antarktis. Die veränderlichen schwarzen Linien entsprechen der Flüchtigkeit aller Gegebenheiten und Bewegungen am Südpol. Präsentiert ist die Arbeit in einer der stattlichen Holzvitrinen neben anderem Plan- und Kartenmaterial der Ausstellung. Hier zeigt sich besonders gut, wie die zeitgenössische Kunst und das eigentliche Thema im Kulturraum zusammen wirken.

Präsentiert wird mit „St.Gallen à la carte“ ein ausgewählter Teil der Karten- und Plansammlung des Staatsarchivs St.Gallen (siehe Bericht am 6. Dezember 2013). Anlass ist die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Bestände und deren Digitalisierung. Letztere hat Felix Stickel inspiriert. Er hat alle digitalen Kartendateien übereinander ausdrucken lassen bis sich eine nahezu schwarze rechteckige Fläche ergibt, in der nur noch hie und da feine Linien erkennbar sind. Damit antwortet der St.Galler Künstler antwortet auf die Übertragung der Karten aus dem real extistierenden in einen virtuellen Raum. Er holt sie zurück in die Wirklichkeit. Ganz wirklich und sogar haptisch zu erleben, ist Stickels Tuscheserie. Hier nun ist der Kartenfalz im Kunstwerk angekommen. Mit dynamischer Geste hat Felix Stickel innere Landschaften aufs Papier gebracht und dieses anschliessend sorgsam auf ein handliches Format gefaltet. Wie richtige Karten dürfen sie in die Hand genommen, auseinandergefaltet und gelesen werden.

Lesestoff bieten auch Peter Stoffels Arbeiten. Seit Jahren arbeitet der in Genf lebende Herisauer daran, eine universale Karte herzustellen. Jedes seiner Einzelwerke ist Teil dieses Versuches von der in sich gespiegelten Rorschach-Karte aus NASA-Bildern über die fraktalen Bäume bis hin zum dicht gewobenen Ölbild der mentalen Geologie. Hier ballen sich die Wege und Verzweigungen, hier stauchen sich die Strukturen, hier pulsieren Tiefe und Licht. Es gibt weder Peripherie noch Zentrum, nur allumfassenden Kosmos. Selbst Atlas der Titan ist klein dagegen, umso mehr, wenn er ganz irdischer Natur ist, so wie bei Roberto Ohrt. Der Kunsthistoriker, der jüngst mit Warburgs Bilderatlas in St.Gallen gastierte, steuert zur Ausstellung einen Weltenträger bei. Das kleine, übermalte Zeitungsbild ist ein geistreicher Kommentar zur gobalen Lastenverteilung: Ein kleiner Atlas in einer grossen Welt.