Dani Gal in der Kunst Halle Sankt Gallen

by Kristin Schmidt

Konstruiert die Sprache die Welt? Die Wirklichkeit? Die Wahrheit? Die Vergangenheit? Wie funktioniert unsere Sprache im Umgang mit der Welt? Wie verknüpfen wir Sprache mit Bedeutung? Gibt es, was sich nicht sagen lässt? Die Sprache ist allumfassend, sie ist Werkzeug und Methode. Sie ist Gegenstand der Wissenschaft, der Philosophie, der Kunst. Sie lässt sich manipulieren, formen, beherrschen und ist doch unerschöpflich und komplex. Sprache wird bewusst oder unbewusst eingesetzt, um Gedanken, Geschichte und Gefühl zu formen. Ein Wörterbuch scheint da noch das objektivste Medium. Doch bereits dort fängt die Zweideutigkeit an. Selbst im Wörterbuch finden sich Sätze, die weder harmlos noch neutral sind, sobald sie auf die Welterfahrung der Lesenden treffen und das tun sie unweigerlich. Dani Gal hat das Oxford Dictionary durchgearbeitet und in einer achtjährigen Arbeitsphase sämtliche Beispielsätze herausgelöst und hintereinander in einem Buch abgedruckt. Das Layout gleicht dem eines Romans und suggeriert damit einen ähnliche inhaltlichen Zusammenhang der Sätze. Tatsächlich aber fügen sie sich nur durch das Gelesenwerden zu einem Text. In der jüngsten Variante der Arbeit funktioniert nicht einmal das mehr: In der monographischen Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen projiziert der Künstler die Wörterbuchsätze zu zweit nebeneinander nach dem Zufallsprinzip. Dinge, Beobachtungen, Bekanntmachungen, Gedanken, Wünsche, Hoffnungen fliessen gleich dem Joyceschen Bewusstseinsstrom vorüber, aber jeder Satz, jede Wortgruppe steht für sich. Durch die Zufallssteuerung haben sie vielleicht nie wieder denselben Vorgänger oder Nachfolger oder Nachbarn. Dennoch beeinflussen sie einander. Ein Satz öffnet ein Assoziationsfenster. Automatisch versuchen wir den nachfolgenden Satz dort zu integrieren. Es gelingt fast immer, denn Dani Gals Projektion eröffnet unendliche Denkräume. Ist es beispielsweise möglich, den Satz  „She wrote something on a small piece of paper.“ zu lesen, ohne sich jene Sie und ihr Geschriebenes oder den Grund ihres Schreibens vorzustellen?

Die Geschichten beginnen sich zu schreiben, die Lücken werden unwillkürlich gefüllt – Mechanismen des Denkens laufen ab. Auch bei jenem Radiogespräch zwischen John Cage und Morton Feldman. Es wurde im Januar 1967 geführt, aber im Archiv hat sich nur eine beschädigte Aufnahme erhalten. So steht der für die ganze Ausstellung titelgebende Satz „Do you suppose he didn´t know what he was doing or knew what he was doing and didn´t want anyone to know?“ ohne direkten Vorgänger da und erhält in der Endlosschleife einen neuen Nachfolger. Der Satz führt ins Leere und doch auch wieder nicht. Zudem zeigt er, wie kleinste Änderungen in Wortstellung oder Buchstabenanordnung die Bedeutung vollständig verändern, ja, in ihr Gegenteil verkehren können. Kleinste Verschiebungen ziehen grösste Konsequenzen nach sich. Das gilt für das oben aufgeführte Beispiel ebenso wie für die Kommunikation im Alltag und im gesamten gesellschaftlichen Kontext. Wenn Dani Gal den nationalsozialistischen Architekten Albert Speer über Reichshauptstadtprojekt Germania sprechen lässt und dieser erst von Hitlers „grössenwahnsinnigem Vorhaben“ redet und es dann in „unser grössenwahnsinniges Vorhaben“ korrigiert, zeigt sich die bedeutungskonstituierende Kraft eines einzigen Pronomens. Die geschilderte Szene ist Teil des Filmes „Wie aus der Ferne (As from Afar)“. Der knapp halbstündige Film wurde von der Kunst Halle Sankt Gallen koproduziert und thematisiert im Stil eines Reenactment die Freundschaft zwischen dem Holocaustüberlebenden Simon Wiesenthal und Albert Speer. Den Rahmen bildet ein Text Ludwig Wittgensteins über Gedächtnisbilder. Der Film ist voller Querverweise sowie komplexer Zeit- und Raumverschränkungen. Das dichte Bezugsgeflecht auf der Basis umfassender Recherchen trifft auf assoziationsreich gesetzte Bilder und Dialoge. Der 1975 in Jerusalem geborene und in Berlin lebende Dani Gal präsentiert in der Kunst Halle Sankt Gallen inhaltlich und ästhetisch höchst aufgeladene Werke.