Meier: Musiker, Magier, Poet

by Kristin Schmidt

Das Aargauer Kunsthaus präsentiert mit „Dieter Meier. In Conversation“ das Werk des Schweizer Multitalentes. International bekannt wurde Meier mit dem Popduo Yello, aber auch seine Kunst hat es in sich.

Die Ausgangssituation ist einfach: ein kleiner Verkaufstresen, ein überschaubares Warenangebot, ein Verkäufer – dennoch ist alles anders als sonst und komplizierter. Das Geld ist die Ware, der Verkäufer ist Kunde, die Währung sind Wörter oder besser Antworten: Als sich Dieter Meier im Februar des Jahres 1971 hinter eben jenen Tresen stellt, kauft er den Vorübergehenden ein „Ja“ oder ein „Nein“ ab. Das, obwohl es keine Frage gibt. Und wer sich zur Antwort entscheidet, hat in jedem Falle bereits „Ja“ gesagt. Hat sich entschieden mitzumachen und mit einem Dollar entlohnt zu werden. Spielt die Aktion auf den Kauf von Wählerstimmen an? Oder darauf, dass viele nicht genau wissen, wofür sie ihre Stimme abgeben? Ironisiert sie die Bürokratie, da jeder Kauf zertifiziert wird? Ist es provokant, mehrere Hundert Dollar einfach so für Jas und Neins auszugeben?

Dieter Meiers Aktionen und Performances der frühen 1970er Jahre sind ebenso überschaubar wie hintersinnig, ebenso unerwartet wie wirksam. Der 1945 in Zürich geborene Künstler, Filmemacher, Musiker, Poet hat sich mit rudimentären Versuchsanordnungen immer wieder in den öffentlichen Raum begeben und sich unkalkulierbaren Reaktionen ausgesetzt. Mal kam die Polizei, mal wurde er Schulthema, Reporter berichteten mal sachlich, mal sichtlich irritiert.

Ob Meier an einer Vernissage mit Pistole auftritt und per Schild versichert, dass er nicht schiessen werde, ob er fünf Tage lang vor dem Zürcher Kunsthaus Schrauben in Plastiksäckchen abzählt oder auf dem Bellevueplatz für eine Stunde lang immer dieselben 20 Meter beschreitet – auch über 40 Jahre später noch wirken seine künstlerischen Gesten. Doch wie lassen sie sich ausstellen? Da Meier sich nicht um die kommerzielle Vermarktung seiner Kunstaktionen gekümmert hat, gibt es keine Editionen davon, keine kunstmarkttauglich zerstückelten Überbleibsel.

Madeleine Schuppli hat für die erste grosse Überblicksschau Meiers in der Schweiz die Archive des Künstlers und der Medien durchforstet und Einiges zusammentragen können. Ausgestellt sind im Aargauer Kunsthaus aber nicht nur originales Pressematerial, Fernsehreportagen oder übrig gebliebene Blankozertifikate. Die Konzeptbeschreibungen, zumeist handkorrigierte Schreibmaschinentexte, und Schwarzweissfotografien wurden mit all den aufbewahrungsbedingten Knittern auf Posterformat vergrössert und auf die Wände tapeziert. Damit erhalten sie eine neue Unmittelbarkeit: Präsenz statt trockenem Rückblick.

Die Ausstellung ist chronologisch konzipiert und beginnt schon im Foyer des Kunsthauses mit dem Fries „Begehbare Zeit“. Dieter Meier hatte dafür eine Wanduhr in einen Passbildautomaten gehängt und zwölf Stunden lang alle 30 Sekunden automatisch fotografieren lassen. Diese Aufmerksamkeit fürs Minimale zieht kontinuierlich durch sein Werk. So sind in Aarau beispielsweise die Serien „29 Bilder in 5 Minuten“ oder „20 Bilder“ zu sehen. In der einen richtet er die Fotokamera auf eine Sitzbank und die darauf Pausierenden; in der anderen auf unspektakuläre Stadtlandschaften, und zwar 20 Jahre bevor Fischli und Weiss „Siedlungen, Agglomeration“ fotografierten. Aber Meier setzt sich auch selbst immer wieder in Szene, etwa als durchschaubaren, aber nicht minder einnehmenden Magier oder mit spielerischen Luftsprüngen.

Noch rasanter wird es in den Videoclips des Elektropopduos Yello. Weltbekannt wurde Dieter Meier mit dieser Formation. Für viele der Kurzfilme stellte er die bunten, mitunter bizarren Kulissen selber her. Im Kontext seiner übrigen Arbeiten zeigt sich nun wie kunstnah sie eigentlich sind mit all ihren malerischen, installativen und skulpturalen Einsprengseln. Nun laufen sie endlich einmal nicht auf dem Fernseher, sondern auf der Kinoleinwand.

Auch wenn das ausgestellte aktuelle Werk des Künstlers nicht mehr an die Originalität des frühen anzuknüpfen vermag, insgesamt lohnt sich die Schau. Oder wie es eine Tageszeitung 1970 zur Performance „Gehen“ schrieb: „Wundere Dich nicht, wandere“ – oder nimm den Zug nach Aarau.