Ein Gebäude für Vieles

by Kristin Schmidt

Das letzte Werk der Künstlerin Bessie Nager wurde für den Kulturfrachter Alpenhof realisiert. Das postum fertig gestellte „Skelett“ ist Kunst-am-Bau-Projekt, Hingucker und ein Haus für kleine Tiere.

Ein fix installierter Radarkasten in St.Anton? Ein Katzenbaum an der Durchfahrtsstrasse? Eine Vogelstation? „Eine Gallionsfigur für den Kulturfrachter Alpenhof“ war angekündigt. Tatsächlich ist die Skulptur von Bessie Nager all das und vieles mehr. Sie ist ein Kunst-am-Bau-Projekt – unter besonderen Umständen entstanden, unter besonderen Umständen fertig gestellt und an einem besonderen Standort eingeweiht. Aber der Reihe nach.

Als Raum für Kunst und Kultur, als Ort der Bibliothek Andreas Züst hat sich der Alpenhof längst einen Platz in der Kulturlandschaft des Appenzellerlandes erarbeitet. Seit der Vereinsgründung im Jahre 2000 war der Alpenhof bereits ein Ort des kulturellen Austauschs eines engagierten kleinen Vereins. Künstler und Dichter, Musiker und Autoren fanden und finden hier den idealen Denkraum, abgeschieden und in einer grossartigen Landschaft gelegen. Als die Liegenschaft erworben werden konnte, stand endlich einer grundlegenden Sanierung nichts mehr im Wege. Was aber ist ein Künstlerhaus ohne Kunst am Bau?

Selbstverständlich wurde bereits vor der eigentlichen Umbauphase ein Kunstprojekt für diesen Ort mitgeplant. Die Kandidatin dafür stand ebenfalls rasch fest: Bessie Nager, Vereinsmitglied und Kulturaktive, unterwegs in öffentlichen und in Kunsträumen. Die 1962 in Luzern geborene Künstlerin war eine aufmerksame Stadtwandrerin, filterte das Gesehene und Gefundene und verarbeitete es in raumgreifenden Installationen. Sie übersah auch jene Apparate und Konstruktionen nicht, die das öffentliche Leben mehr oder weniger lenken sollen und liess sie in transformierter Form in ihre Werke einfliessen.

Denselben wachen Blick und das Gespür für die Wandlungsfähigkeit der Objekte hatte Bessie Nager im Alpenhof. Sie sammelte all das, was bei einem Umbau zumeist auf dem Schutthaufen landet, und fügte es neu zusammen: Das Zopfbrett und die Weinkisten, Fleischbretter und Abfallholz, ein Hundehüttli. Die Künstlerin baute, das Werk wucherte. Es kamen Vogelhäuser aus dem Brockenhaus hinzu, die Sitzflächen von Melkschemeln, Stangen und Stützen. Bei Nagers grosser Einzelausstellung 2009 im Kunstmuseum Solothurn wurde die Plastik dann zum ersten Mal ausgestellt, angelegt war sie jedoch auf Weiterwuchs. Sie sollte auf der Nagelfluhrippe in direkter Linie vom Alpenhof installiert werden und sich dort immer weiter verändern – eine Prozessskulptur, die nie fertig werden würde, deren morsche Teile ebenso ersetzt würden, wie sie immer wieder Platz für Neues geboten hätte. Doch dann veränderte der Unfalltod der Künstlerin alles.

Was jetzt? Wie weiter mit dem lebendigen Werk der Verstorbenen? Mit dieser Frage sehen sich Konservatoren, Sammler und Restauratoren zeitgenössischer Kunst immer wieder konfrontiert. Hauptsächlich stehen zwei Wege zur Auswahl: Entweder das Werk wird im Sinne des Künstlers oder der Künstlerin weitergeführt, zumeist durch die Nachkommen oder Partner. Aber ist es dann noch das eigentliche, authentische Werk? Wer diese Frage verneint, wird anders vorgehen: Der Status Quo wird erhalten, das Werk also an jenem Punkt eingefroren, an dem es durch die Kunstschaffenden nicht selbst weiterbearbeitet werden kann. So ist es nun bei Bessie Nagers Werk. Fast. Denn ein Schritt gab es noch. Schliesslich war „Skelett“, so der offizielle Titel, zu fragil, um im Aussenraum platziert zu werden.

Die Künstlerin hatte bereits vor ihrem Tod damit geliebäugelt, das Werk in Aluminium giessen zu lassen. Unterstützt durch die Kunstgiesserei im Sitterwerk wurde also postum die Aluvariante realisiert. Jetzt steht sie da, mit Zustimmung der Gemeinde an prominenter Position an der St.Antonstrasse und lädt ein innezuhalten, zu schauen, sich zu erinnern. Manche sind aber auch eingeladen, darin zu wohnen, denn Fledermauskasten und Schlupfwespenhaus gehören dazu. Und so wird das „Skelett“ dereinst vielleicht wieder leben, weiterwachsen, sich verändern – ganz im Sinne der Künstlerin.