Der Hahn des Anstosses

by Kristin Schmidt

Anderthalb Jahre lang wird Admiral Nelson, Held der Seeschlacht von Trafalgar, von seiner Säule aus auf einen blauen Hahn blicken: Die deutsche Künstlerin Katharina Fritsch hat den Fourth Plinth Wettbewerb mit einem monumentalen Federvieh gewonnen. Gefertigt wurde es in St.Gallen.

Höchste Geheimhaltungsstufe für einen Hahn: Zwanzig Monate wurde an dem Tier gearbeitet und nicht ein Foto durfte veröffentlicht werden. Dabei wäre es doch so spannend gewesen, haut- oder federnah zu beobachten, wie aus einem ordinären Bauernhofvogel ein fast 5 Meter hoher ultramarinblauer Güggel im Zentrum Londons wird; wie in der St.Galler Kunstgiesserei Formen gebaut, gefräst, Konstruktionen berechnet, Farbtests gemacht und immer wieder auf die kritischen Anmerkungen Katharina Fritschs eingegangen wird. Angefangen hatte es mit einem Atelierbesuch bei der Künstlerin in Düsseldorf im Oktober 2011. Aber eigentlich schon im Juli 2010. Dann nämlich wurden die sechs Kandidaten für den Fourth Plinth Wettbewerb am Londoner Trafalgar Square vorgestellt, darunter die spätere Gewinnerin Fritsch.

Der vierte leere Sockel des Platzes wird seit 15 Jahren mit zeitgenössischer Kunst bespielt. Die Aufmerksamkeit für diesen Kunstpreis könnte grösser kaum sein und immer wieder provoziert die Auswahl der Jury. So etwa als im September 2005 Marc Quinns Marmorstatue einer körperlich schwergeschädigten schwangeren Künstlerin präsentiert wurde. Die Irritationen mögen ein Grund dafür sein, warum vor der Enthüllung der Skulpturen kein Bild davon präsentiert werden darf. Und tatsächlich: Auch der blaue Hahn erzürnt so manchen Londoner. Besonders die Denkmalschützer echauffieren sich, da das Tier, das nationale Symbol Frankreichs, nun den Platz prägt, der dem historischen Sieg über die Franzosen gewidmet ist. Unpassend sei der Vogel und stehe in keinem Kontext zum Platz, heisst es in einem Schreiben an die Londoner Stadtverwaltung. Doch Bürgermeister Boris Johnson stellt sich hinter das Projekt. Einerseits betont er die Freiheit der Kunst und andererseits hat er das grosse Potential des Werkes als Attraktion für Londoner und Besucher erkannt.

In der Tat, „Cock/Hahn“ ist ein Hingucker. Inmitten der steinernen Pracht fällt er auf, setzt einen tiefblauen Kontrast zu grau verwitterten Bauten, Treppen, Brunnenskulpturen und Sockeln. Aber Katharina Fritschs Arbeit ist freilich mehr als eine ästhetische Spielerei. Das galt schon für den tiefschwarzen Rattenkönig, die grüne Elefantenkuh und die gelben Madonnen und nun auch für den Vogel. Schon beim Titel fängt es an, ist doch der „Cock“ im Englischen eindeutig zweideutig doppelbesetzt. Mit der Invasion des Französischen Nationalsymbols im Herzen Londons geht es weiter, und das ausgerechnet durch eine deutsche Künstlerin. Dann ist da noch die anspielungsreiche Platzierung des Gockels in unmittelbarer Nachbarschaft der auf Sockel gehobenen Generäle und Admiräle. Fritsch kommentiert mit dem Hahn die reaktionäre männlich Weltsicht und die Annahme des biologischen Determinismus, gleichzeitig darf sich der männlich dominierte Kunstbetrieb gemeint fühlen. Es ist kaum ein Zufall, dass der Hahn an Yves Kleins Vereinnahmung der Welt mit dem berühmten Ultramarinton erinnert. Doch neben all dem ist der Hahn auch ein Symbol für Erneuerung, Aufbruch und Stärke und das dürfte den Londonern recht sein.