Starke getanzte Bilder

by Kristin Schmidt

Seit dem Jahr 2000 organisiert die IG-Tanz die «Querschritte». Die Plattform für zeitgenössisches Tanzschaffen präsentiert in der Lokremise fünf sehr unterschiedliche choreographische Arbeiten.

Mittlerweile ist es zu einer Tradition geworden: Im Herbst lädt die IG-Tanz Ostschweiz zu den «Querschritten» ein. Wie immer gibt es dabei sehr Unterschiedliches, Anregendes und Gutes zu sehen; wie immer gibt es kein gemeinsames Thema, sondern es sind fünf unabhängige Eigenproduktionen zu sehen. Die Tänzerinnen und Tänzer präsentieren Kurzstücke und Arbeitsausschnitte, die sich durchaus noch zu abendfüllenden Choreographien entwickeln können.

Den Anfang macht die gebürtige Bernerin Daria Gusberti mit «Off.on/stage», einem Stück, das sich auf zwei Ebenen abspielt. Da ist zum einen die real existierende, durch die physische Präsenz der Tänzerin vermittelte Welt, und zum anderen ist da die Gedankenwelt, ist das Immaterielle, sind sehr persönliche Berichte, übermittelt durch das gesprochene Wort. Erzählt werden Fragmente eines Lebens oder vielmehr mehrerer Leben. Aber wer ist anwesend, wer abwesend, wen spielt Gusberti? Die Tänzerin lässt alles offen, wechselt die Identitäten und visualisiert beinahe nebenbei in Bewegungen und Worten eine Grammatik des Tanzes.

Ein jeder Teilnehmer der «Querschritte» hat seine besondere Stärke; so wie es bei Daria Gusberti die Sprache zum Tanz ist, sind es bei Wilfried Seethaler, geboren in Salzburg, die gesunde Portion Selbstironie und der Witz, die in seinem Stück «Steinerweichen» mitschwingen. Seethaler widmet sich der Begegnung von Mensch und Berg. Er rennt an, fällt, schaut, schätzt Richtung, Entfernung, Dimension und zeigt eindrücklich eine schwierige Annäherung: Was macht der Mensch in den Bergen? Was macht der Berg mit dem Menschen?

Viel weniger konkret wird es bei Tanja Büchel, aufgewachsen im appenzellischen Wald, wohnhaft in Winterthur. Auf einem hohen Podest, in einem schmalen Lichtkegel entwickelt sie minimalistische, aber nichtsdestoweniger eindrucksvolle Körperbilder – und zeigt, wie wenig es braucht, um eine überzeugende tänzerische Aussage zu formulieren. Dieser Eindruck verwischt sich allerdings etwas im zweiten Teil ihrer Choreographie. Sie wie auch Gusberti und Seethaler könnten noch stärker auf die Kraft der reduzierten Sprache vertrauen. Nicht alles, was gesagt oder eben tänzerisch formuliert werden kann, muss auch auf der Bühne gezeigt werden, um ein stimmiges Stück zu entwickeln.

Wie dies im positiven Sinne funktioniert, zeigt Stefanie Grubenmann: Umgeben von einigen Dutzend mit Wasser gefüllten Gläsern, beginnt die Tänzerin und Performancekünstlerin mit rhythmischen, sich wiederholenden Gesten und Geräuschen. Beinahe zwanghaft, dann ekstatisch bis zur Erschöpfung, erinnern sie an ritualisierte Handlungen und sind tatsächlich das Vorspiel zu einem beschwörenden Duett von Mensch und wassergefülltem Glas.

Zum Abschluss des Abends steigert sich das Tempo: «Die Sitzung» der FAA-Zone Tanzkompanie Winterthur (Andrea Benz-Bandschapp, Alex Hobé und Anja Zweifel) thematisiert in wechselndem Rhythmus und mit gleichbleibender Dynamik die Beziehungsgeflechte, Konfrontationen und Abhängigkeiten im Arbeitsalltag. Zu dritt, zu zweit, alleine – es wird taxiert, gerangelt und gearbeitet. Mechanisch ausgeführte Bewegungen kontrastieren mit fliessenden Übergängen, dem Kampf am Tisch, dem abgesehen von weissen Masken einzigen Requisit, folgen raumgreifende Schrittfolgen.

So heterogen die Tanzstücke auch sind, eines verbindet sie: Es werden starke Bilder erzeugt, und zwar nicht nur auf der Bühne, sondern auch in den Köpfen der Zuschauer. Sie bieten eine Projektionsfläche für Erinnertes und Erlebtes und wirken so noch lange nach.