Heimatgefühl und Fernweh

by Kristin Schmidt

Die Ledi ist in Urnäsch angekommen. Im Schopf hat der Künstler Pascal Häusermann ein Wunderkabinett eingerichtet, das mit Exotischem und gut Bekanntem bestückt ist.

Urnäsch hat ein zweites Museum bekommen. Konkurrenz für das Brauchtumsmuseum? Mitnichten, denn das neue Museum ist nur eines auf Zeit und kooperiert noch dazu aufs Beste mit der alteingesessenen Schwester. Eingerichtet wurde es von Pascal Häusermann im Schopf unter der Ledi. Seit Mai ist die Ledi-Wanderbühne unterwegs und nun ist sie in Urnäsch auf ihrer dritten Station.

Pascal Häusermann (*1973) hat die Idee der Kunst- und Wunderkammer im Schopf wörtlich genommen und ein Schatzkabinett entworfen. Den Ausgangspunkt bildet die Stubenwand der Gaiser Grosseltern des Künstlers. Häusermann selbst lebt zwar seit dem Primarschulalter in Zürich, doch im Hause der Grosseltern bestaunte er aus Kinderaugen oft die dort versammelten Dinge. An der Wand hing beispielsweise der Landsgemeindedegen neben einer Machete. Die Grosseltern hatten ihn und andere Souvenirs aus Afrika und Ostasien mitgebracht. Die fremdartigen Alltagsobjekte und Ritualgegenstände mischten sich mit der heimeligen Biedermeierstimmung in der guten Stube. Dieses Zusammentreffen der Kulturen überträgt Häusermann in seine Installation „So fremd kann Heimat sein“.

Das Herzstück bildet eine modifizierte Nachbildung der Wohnzimmerwand der Grosseltern. Das Einbaumöbel funktioniert wie ein kostbarer Schrein für noch kostbareres Gut, darunter bedeutsame Stücke, die Häusermann aus dem Brauchtumsmuseum Urnäsch ausleihen konnte, aber auch solche, die ihren Wert nur durch die damit verbundenen Erinnerungen ihrer Besitzerinnen und Besitzer erhalten.

Aus dem Museum stammen beispielsweise zwei Fotografien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie zeigen wie verschieden damalige Schuppel von heutigen sind. Damals herrschten weniger starke formale Standards. So war es möglich, die Tageskultur in den Kopfschmuck zu integrieren etwa die gesunkene Titanic oder den abgestürzten Zeppelin. Die traditionelle Kultur verbindet sich mit der aktuellen Lebenswelt. Solche Ambivalenzen sind es, die Häusermann besonders interessieren: Wo treffen sich Alltag und Ritual? Wo hat das Spirituelle noch Platz in der globalisierten Welt?

Häusermann hat keine volkskundliche Ausstellung eingerichtet, sondern bespielt den Schopf subversiv und vielstimmig. Leihgaben aus dem Museum und von Appenzeller Reisenden sind nur ein Aspekt seiner Wunderkammer. Häusermann hat andere Künstler gebeten, Werke beizusteuern, die von Heimat und Fremde, von Animismus und Migration erzählen. Und so hat Cat Tuong Nguyen, ein Zürcher Fotokünstler mit vietnamesischen Wurzeln, eine Altarsituation entworfen mit Fotogrammen und Siebdrucken. Von Tom Fellner, der in den USA lebte und in die Schweiz zurückgekommen ist, sind Aquarelle mit japanischer Spielzeugfiguren vor dem Hintergrund seiner heimatlichen Berglandschaft zu sehen. Costa Veces Assemblage aus online ersteigerten und schwarz angesprühten Souvenirfetischfiguren thematisiert, wie die Globalisierung zu formaler und inhaltlicher Beliebigkeit führt. Aber sind demgegenüber die traditionellen Formen erweiterbar und aufnahmefähig für Neues? Häusermann zeigt das eindrücklich mit einer von der Decke hängenden Traube aus Schellen, einer Gemeinschaftsarbeit mit Schellenschmied Peter Preisig, oder mit dem Groscht von Lisa Schiess. Statt mit Reisig hat ihn die in Zürich lebende Waldstätterin mit silbriger Schokoladenfolie besteckt und Namen darauf geschrieben. Hans Neff schliesslich, Holzschnitzer aus Urnäsch, hat für die Präsentation Blechschablonen ausgeliehen. Einst dienten sie zur Verzierung von Patisserie. Jetzt treten sie im Schattenspiel auf, was sich wiederum auf die gezeigten Schattenspielfigur aus Bali verweist. In Pascal Häusermanns Wunderkammer gelingt die Symbiose der Sehnsucht nach Exotik und Heimatgefühl. Gegensätzliches ist hier aufs Selbstverständlichste vereint.