Tanz in der Stadt

by Kristin Schmidt

Zuschauen, Mittanzen, Lernen – ein Wochenende lang wurde in St. Gallen getanzt. Auf Strassen, Plätzen, in Parks, Schulen und zahlreichen Gebäuden dominierte das diesjährige Tanzfest mit einem abwechslungsreichen Programm.

Was für ein Auftakt! Bei schönstem Wetter startete das Tanzfest am Donnerstagabend mit zwei geführten Tanzrundgängen durch die St. Galler Innenstadt. Sechs Formationen zeigten eigens erarbeitete Choreographien. Sie alle hatten nicht nur die hohe künstlerische Qualität gemeinsam. Alle Produktionen thematisierten die Stadt und waren ganz auf den jeweiligen Aufführungsort bezogen. Oft werden attraktive öffentliche Räumen als Wohnzimmer der Stadt bezeichnet. Künzler/Mock nahmen dies wörtlich. Der Gallusplatz wurde zur guten Stube – Zügeln, Einrichten und Putzen inbegriffen. In äusserst präziser Körperarbeit belebte sich hybrides Mobiliar, funktionierten Lampe und Sessel einmal anders.

Die Tanzkompagnie des Theaters St. Gallen schickte drei ihrer Tänzer am Bärenplatz in den samstäglichen Einkaufsrummel. Selten wurden grosse Tragetaschen so elegant über die Bänke balanciert, selten kleine Dramen unter shoppenden Männern schöner ausgetragen. Hinzu kamen lustvolle Zitate aus der HipHopkultur, die das Publikum zu spontanen Begeisterungswellen mitrissen.

Die Stadtlounge alias roter Platz bot Sandstøproduction die perfekte Bühne für intensiven Tanz zwischen fragiler Künstlichkeit und temporeicher Vitalität. Kein Wunder, dass es fast eine Kollision zwischen staunendem Passant und Töfflifahrer gab. Die Verkehrsbeunruhigung nahm unterhalb des Blumenbergplatzes noch rasant zu, als Hasselbeck & Stiftung Freizeit als Komitee zur standardisierten Zebrastreifenüberquerung auftraten. Wohl kaum einer der Tanzfestgäste wird wohl hier jemals wieder eine der vielen Fahrbahnen überqueren, ohne an die turbulenten Polonaisen, das Fussgänger-Stop und Go, die Kreistänze auf der vielbefahrenen Kreuzung zu denken. Da kam nicht nur so mancher Postautochauffeur ins Schwitzen.

Stillere Töne schlug die Compagnie Bewegungsmelder an. In der Passage zwischen Neugasse und Marktplatz entwickelten sie ein stimmiges Duett zwischen Tänzerin und Akkordeonspieler. In der Dunkelheit der Gasse faszinierte der Dialog der beiden Silhouetten. Danach gings weiter in den Innenhof von Katharinen. Zwischen den alten Mauern fand der Rundgang mit „Nachtschatten“ von Cie Claudia Roemmel seinen Abschluss. Der Ort bot die ideale Kulisse für die ruhelosen Rangeleien, die in geschmeidigen Tanz übersetzten Rang- und Revierkämpfe einer wilden Fünferbande.

Nach dieser gelungenen Eröffnung des Tanzfestes gab es bereits Freitagabend den nächsten Festhöhepunkt mit der gut besuchten Tanznacht in der Offenen Kirche. Tanzfreundinnen und -freunde konnten von professionellen Tanzschaffenden drei einfache Bewegungssequenzen erlernen. Weder Babybauch noch gebrochener Arm stellten Hindernisse dar; und der Enthusiasmus der Profis half über so manche Ratlosigkeit angesichts nicht ganz unkomplizierter Bewegungsabläufe hinweg. Selbst die Pausen wurden zum Weitertanzen genutzt. Die St. Galler Slackliners sorgten musikalisch für Stimmung und es war allen im Saal anzusehen: Tanzen macht gute Laune.

Am Samstag und Sonntag lockten weitere vielseitige Programmpunkte. Einer davon war der grosse Back to the Roots Battle der Breakdancer. Er wurde wegen des Wetters vorsorglich in die Jugendbeiz Talhof verlegt. d.point.c crew gewannen den Wettbewerb und präsentierten sich dann am Abend in der Lokremise beim zweiten Teil von Tanzrauschen. Den ersten Teil verfolgten 2000 Interessierte in der Multergasse. Die farbenfrohen Aufführungen der Tanzschulen der Region spannten den Bogen von Nah- bis Fernost, von Afrika bis Zumba, von Bollywood bis Ballett und fanden mit den Breakdancern einen beeindruckenden, akrobatischen Abschluss. Am Sonntag hiess es bei schönstem Wetter und vielen Kursen und Workshops dann wieder: Mittanzen erlaubt!