Die Kunst kommt mit dem Kran

by Kristin Schmidt

Das Forum Würth ist die neue Kunstdependance der Würth Gruppe in Rorschach. Im Aussenraum und im neuen Gebäude werden 100 Kunstwerke installiert.

Langsam fährt der Lastwagen rückwärts – der Uferweg zwischen Grünanlage und Rorschacher Hafenbecken ist eng. Langsam senkt der mobile Kran die Spanngurte herunter. Langsam bugsieren die Transporteure die Ladung ans Tageslicht. Alles geschieht bedächtig und mit grösster Sorgfalt, denn die Fracht ist kostbar: Niki de Saint Phalles „Large Bull Totem“ bekommt seinen grossen Auftritt in Rorschach. Noch ist das Maul der Figur mit einer dicken Decke umwickelt, nur die Hörner ragen schon aus der Verpackung heraus. Goldene Mosaikscherben blinken hervor. Eine riesige Spinne, besetzt mit blauen Steinen, krabbelt auf dem silbern glitzernden Rumpf der Skulptur. Sie ist eines von 100 Kunstwerken in der Eröffnungsausstellung des Forum Würth Rorschach.

Der Weltkonzern Würth eröffnet am See ein neues Verwaltungs- und Ausbildungszentrum. Wie an den anderen 14 Würth-Standorten in Europa wird in Rorschach Kunst gezeigt. Sie gehört seit über 20 Jahren zur Firmenphilosophie: Nicht nur die Arbeitsplätze werden mit Kunst ausgestattet, sondern auch der frei zugängliche Aussenbereich. Obendrein werden eigene Ausstellungsinstitutionen geschaffen. Das Museum Würth am Stammsitz in Künzelsau machte 1991 den Anfang. In der Schweiz kamen 2002 das Kulturforum Würth in Chur und 2003 das Forum Würth in Arlesheim hinzu. Nun also Rorschach.

Am Kran schweben 800 kg Kunst über der neu gestalteten Uferpromenade zwischen Strandbad und Bahnhof. Der Standplatz inmitten frisch angesäten Rasens ist vorbereitet. Doch wohin soll das goldene Haupt des Totems blicken? Lun Tuchnowski hat die Position bereits genau im Kopf. Der Ausstellungsarchitekt und Bildhauer arbeitet seit zwei Jahrzehnten für die Würthsche Kunstsammlung. Er kennt die Werke genau und hat ein gutes Gespür für ihre Platzierung. Klar, der Totem soll zum See hin ausgerichtet sein. Gleichzeitig ist er zwei anderen Werken Niki de Saint Phalles zugeordnet: „Drache“ und „Bär“ sind bereits auf der Uferpromenade gelandet. Löchrig wie ein alter Stamm präsentiert sich der „Drache“ als bunt spiegelndes Seeungeheuer. Besonders die kleinen Spaziergänger werden sich nicht von den gefletschten Zähnen abschrecken lassen und die aufgestellten Rückenstacheln bald einmal als Kletterspielplatz entdecken.

So sind Niki de Saint Phalles Arbeiten auch gemeint: Es ist Kunst zum Anfassen und sogar zum reinsitzen. Der „Bär“ etwa verbirgt in seinem Bauch eine Bank. Wie ein Strandkorb lädt er ein, zu verweilen und die Seesicht zu geniessen. Aber auch der Blick zur anderen Seite lohnt sich; Gucklöcher korrespondieren mit der Architektur und ihren vielfältigen Durch-, Ein- und Ausblicken.

Das Schweizer Architektenduo Annette Gigon und Mike Guyer hat den neuen Firmensitz entworfen. Sie gingen mit ihrem Projekt „Lichtspiel“ als Sieger aus einem international besetzten Wettbewerb hervor. Das Gebäude ist mit einer doppelten gläsernen Hülle verkleidet. Die äusseren Scheiben tragen eine metallisch glänzende Gewebeeinlage und wirken wie ein schillernder Vorhang. An vielen Stellen ist er geöffnet. So wie Henri Moores „Large Interior Form“. Lun Tuchnowski hat die 5 Meter hohe Bronze vor dem Eingang des Hauses platziert: „Ich versuche, möglichst alle Blickachsen zu berücksichtigen. Daraus legt sich der Standort selbst fest“.

Moores Werk wird nun für längere Zeit in Rorschach bleiben. Andere Arbeiten sind speziell für die Eröffnungsausstellung hierher gebracht worden. Etwa die Eisenplastiken  von Robert Jacobsen und Bernhard Luginbühl. Dem Dänen wird im Foyer eine kleine monografische Ausstellung eingerichtet. Der Berner ist mit einem Einzelwerk vertreten und gleichzeitig Teil der stark präsenten Schweizer Kunst. Max Bill, Johannes Itten, Ferdinand Hodler, Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle zählen hier genauso dazu wie Hans Josephsohn. Noch vor Josephsons Tod im vergangenen Sommer wurde eine „Liegende“ angekauft – eine Würdigung des grossen Bildhauers einerseits und eine Referenz an die Region andererseits ist doch das Kesselhaus im St. Galler Sitterwerk dem Werk Josephsons gewidmet.

Luginbühls Plastik „Die grosse Schraube“ wurde eigens für eine Würth-Ausstellung 1996 geschaffen und gibt denn auch motivisch einen deutlichen Hinweis auf das Spezialgebiet der Unternehmensgruppe: Zwischen den verschweissten Metallteilen finden sich Muttern in vielen Grössen, Schraubschlüssel und ein ganzes Dutzend Schrauben. Alles ist stark korrodiert. Der Rost darf bleiben, der Staub nicht. Lidia Ciotta reinigt Luginbühls „Grosser Schraube“ mit Staubsauger und feinem Pinsel. Die Kunsthistorikerin arbeitet im Art Forum Würth in Capena bei Rom. Gemeinsam mit Christoph Bueble begleitet sie den Aufbau in Rorschach. Bueble ist seit 20 Jahren als freischaffender Restaurator für die Sammlung tätig und immer auch beim Ausstellungsaufbau dabei: „Diese zwei Bereiche ergänzen sich sehr gut. Ich schätze beides“.

Bueble begutachtet den Fortschritt der Arbeiten im Innenhof. Noch werden hier die Fenster geputzt, doch Max Ernsts Ganoven warten schon. Die drei Mitglieder des „Lehrkörpers für eine Schule der Totschläger“ sehen so gar nicht furchteinflössend aus. Tuchnowski nennt sie gar eine „lustige Gesellschaft“. Der Ausstellungsarchitekt hat gemeinsam mit C. Sylvia Weber, Kunstdirektorin bei Würth, den Platz im gläsernen Innenhof ausgewählt und freut sich bereits auf den Aquariumseffekt: „Mein Prinzip ist es, der Architektur zu folgen. Ich kann nicht das grösste Bild auf die kleinste Wand hängen.“ Im Obergeschoss, dem eigentlichen Forum Würth und Herzstück der Kunstpräsentation, wird es dann aber doch recht eng. Auf 600 Quadratmetern werden hier thematische Schwerpunkte aus der Sammlung ausgebreitet. Da gibt es selbstbewusste Frauen von Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, René Magritte, Pablo Picasso und Fernando Botero. Eine Wand werden sich Männer mit Hut teilen, eine andere Landschaften von David Hockney, Giovanni Segantini und Ferdinand Hodler. Mit einem Triptychon von K. H. Hödicke wird zu den Stadtlandschaften übergeleitet. Max Beckmanns „Genius“ gehört hier dazu und natürlich die Verpackungskunst von Christo und Jeanne-Claude. Hier besitzt die Sammlung Würth wichtige Arbeiten, darunter eine der frühen Ladenfronten oder etwa die vorbereitenden Zeichnungen und das Modell der 1968 verhüllten Kunsthalle Bern.

Um derart viele Werke unterzubringen, ist gute Vorausplanung notwendig. Lun Tuchnowski zeigt ein Modell im Massstab von 1:50. Mit Stecknadeln sind Miniversionen der Kunstwerke in den kleinen weissen Räumen befestigt. So sieht Ausstellungsmachen nach Lehrbuch aus. Flexibel zu bleiben ist dennoch wichtig. C. Sylvia Weber und Lun Tuchnowski klammern sich nicht zwingend am Konzept fest, denn „Originalwerke haben eine eigene Präsenz.“ Wenn sich diese im Ausstellungssaal entfaltet, müssen noch so manches Mal die weissen Handschuhe übergezogen und ein Gemälde in neue Nachbarschaft gebracht werden. Spannend bleibt es bis zum Schluss.

Ostschweiz am Sonntag